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Ein Radjournal von Brügelmann

Zwei Sättel, eine Meinung: Immer draußen trainieren oder auch auf der Rolle?

Zwei Sättel, eine Meinung: Immer draußen trainieren oder auch auf der Rolle?

Was tun bei schlechtem Wetter? Indoor fahren oder raus in die Natur?

Brügelmann Blog 5. Januar 2021 7 min.

Es gibt eine ganz klare Gretchenfrage unter Radsportlern*innen: Trainierst du auf der Rolle? Mit etwas mehr Pathos ausgedrückt: Manche entscheiden sich für die Maxime „Siff statt Zwift“, was nichts anderes bedeutet als die absolute Ablehnung von Rollen- und Smarttrainern, während andere genau darauf schwören. Letztere Fraktion zelebriert besonders im Winter das Rollentraining, als wäre es die Essenz des Radfahrens. Die feurige Diskussionskultur um das Thema Rollentraining erinnert fast an die Diskussionen um die Daseinsberechtigung von E-Bikes.

Wir wollen uns an der Kontroverse beteiligen und haben einfach zwei leidenschaftliche und durchaus erfolgreiche Biker gefragt, die genau an den beiden Enden des Meinungsspektrums stehen. Sie beschreiben uns aus ihrer Sicht, was für oder gegen das Konzept „Indoor Cycling“ mit all seinen Facetten spricht. Mit dabei sind Stephan Leuendorff aus Berlin, der einige Erfolge bei verschiedenen Disziplinen und Meisterschaften zu verzeichnen hat, sowie Alexander Ebell aus Stralsund, der unglaubliche self-supported Langstreckenfahrten bewältigt hat.

Pro Indoor Cycling von Stephan Leuendorff

Stephan wohnt mit seiner Frau Anja und seinen beiden Kindern in Berlin und hat eine sehr lange, sportliche Karriere zu verzeichnen. Seine sportlichen Erfolge reichen von mehreren Teilnahmen beim Ironman auf Hawaii bis zum lokalen und überregionalen Duathlon-Meister. Daneben schreibt er auch noch einen Blog, nimmt zusammen mit Christian Kramer Podcasts auf und macht auch noch YouTube-Videos. Und ja, er ist auch noch berufstätig!

Stephan trainiert zwar viel drinnen, feiert aber auch draußen viele Erfolge

„Die Fahrer brechen über ihren Lenkern zusammen, der Puls hämmert in den Ohren, die Leistungsanzeige steht auf Null, aber die Lüfter laufen weiter. Langsam weitet sich das Sichtfeld wieder und der Blick fällt auf die Ergebnisliste …“

Es ist dieser stille Moment direkt nach dem Zieleinlauf der Weltmeisterschaft im Mannschaftszeitfahren auf Zwift. Die acht Fahrer und Coaches der „Berlin Hot Crankz“ haben alles gegeben. Sie haben die Bronzemedaille erkämpft, ohne dafür ihren Keller, ihre Garage oder das Wohnzimmer zu verlassen. Weltweit haben Zuschauer*innen das Rennen im Livestream miterlebt.

Bei Stephan Leuendorff sitzt die gesamte Familie auf dem Smarttrainer

Der Schmerz, der Schweiß und die Freude sind echt, nur die Umgebung ist virtuell. Ein Radsport-Event der besonderen Art war das. Es hat auf Zwift stattgefunden, der wohl derzeit beliebtesten Plattform, wenn es um das Training auf der „Rolle“ beziehungsweise dem Smarttrainer geht. Die Fahrer der Berlin Hot Crankz (BHC) haben sich seit Monaten auf dieses Event vorbereitet. Da es sich um ein „Spiel“ handelt, geht es nicht nur um die pure Leistung, sondern auch um die Technik. Man muss das Spiel spielen können.

Nun wollen natürlich nicht alle, die mit dem Gedanken an Indoor-Training liebäugeln, gleich Rennen oder Meisterschaften bestreiten. Tatsächlich tun dies nur die wenigsten. Meist stehen andere Gründe im Vordergrund, warum man sich daheim auf den Rollentrainer setzt. Für viele spielt die Zeit, beziehungsweise die Zeitersparnis eine Rolle. Ohne lange „Rüstzeiten“ (vorausgesetzt, das Rad hat einen festen Platz auf der Rolle) kann man doch so in relativ kurzer Zeit ein sehr effektives Training absolvieren.

Intervalle oder Vorgaben eines Trainers können so unabhängig von der aktuellen Witterungs- und Verkehrssituation umgesetzt werden. Dies bietet auch den Vorteil der Sicherheit. Man muss sich nicht „um jeden Preis“ bei Dunkelheit und Nässe in den Verkehr begeben, um sein Training durchzuführen. Auch hat nicht jeder einen Coach oder möchte zuerst einmal ein Gefühl dafür bekommen, was möglich ist. Hier wird man auf einer der zahlreichen Plattformen auf jeden Fall fündig.

Zwift bietet vor allem die Community mit Gruppenfahrten, Rennen und Events (aber auch Workouts). Sufferfest und TrainerRoad haben sich auf Trainingsprogramme spezialisiert. Es gibt inzwischen eine sehr große Auswahl solcher Tools. Die aktuelle Generation von Rollentrainern bietet auch schon im mittleren Preisbereich eine sehr gute Simulation von Steigungen, was im Zusammenspiel mit hochauflösenden Videos die Zeit noch schneller verfliegen lässt. Bei aller Freude über die Simulation gilt es aber vor allem die Kühlung (mittels Lüfter) und das vermehrte Trinken zum Ausgleich des erhöhten Flüssigkeitsverlusts nicht zu vernachlässigen.

Kurz vor der Geburt unseres ersten Kindes wurde für uns das Indoor-Training so richtig relevant. Die knappe Zeit wollte gut genutzt werden. So wurden immer mehr Einheiten in die eigenen vier Wände verlagert – sie wurden kürzer aber viel intensiver. Es stellte sich heraus, dass gerade dieser Ansatz sehr gut zu funktionieren schien. So konnten wir große Teile des Trainings kompensieren. Auch, wenn eigentlich Zeit für eine Outdoor-Einheit da wäre, wird diese schon mal nach drinnen verlegt.

Aber Vorsicht! Diese Art Training führt auch sehr schnell dazu, dass man ausbrennt und sollte immer von längeren und ruhigen Einheiten abgepuffert werden! Und diese Rennen haben nichts mit gut strukturiertem Training zu tun, können aber gut eingebaut werden. Auch hier gilt: Die Dosis macht das Gift.

Dennoch wollen wir die Sessions drinnen nicht mehr missen. Wir schreiben einen sehr großen Teil unserer sportlichen Erfolge in der echten Welt dem Training auf der Rolle zu. Ohne dieses Trainingsmittel wären Siege bei Meisterschaften und Starts beim Ironman Hawaii sicher nicht in dem Maße möglich gewesen.

Es ist also für jeden was dabei und wer weiß: Vielleicht reicht es beim nächsten Mal ja für Platz 1 bei der virtuellen Meisterschaft?

Bei den Leuendorffs kann es in der privaten Pain Cave schon mal eng werden

Contra Indoor-Cycling von Alexander

Alex kommt aus Stralsund, er fährt gern und viel Fahrrad, macht aber daneben auch noch andere Sachen. Eine seiner verrücktesten Aktionen war wohl das „Race around Germany“, bei dem er komplett auf sich allein gestellt in knapp mehr als zehn Tagen Deutschland umrundet hat (3.264 Kilometer). Wenn du mehr über Alex erfahren möchtest, dann schau doch mal auf seinem Instagram-Profil oder Strava-Account vorbei. Malen kann Alex übrigens auch, allerdings ohne Papier und Stifte, sondern auf der digitalen Landkarte von Strava.

Alex fährt am liebsten viel, aber vor allem ausschließlich draußen. So wie hier beim Race across France der Edition 2020.

Drinnen! Draußen! Beides? Radfahren ist eines der beliebtesten Hobbys der Welt. Die Möglichkeiten, sich mit seinem Rad zu vergnügen, sind drinnen und draußen sehr vielfältig. Mittlerweile gibt es Zwift und andere Indoor-Radfahrprogramme. Das ist eine ganz eigene Welt und einige Radfahrer können so sicher auch ein gutes Training absolvieren. Das ist schon ok, wenn es auch in keinster Weise meiner Vorstellung von Radfahren entspricht.

In meiner Welt gibt es zwei sogenannte Kernelemente der Radfahrfreude. Zum einen hat Radfahren damit zu tun, sich geografisch fortzubewegen. Von A nach B kommen, neue Orte zu erkunden, eigentlich ganz simpel. Ein Rad, ein Ziel und du. Mit dem Fahrrad kommst du in Gegenden, die du sonst wohl nicht zu sehen bekommen hättest. Du lernst Menschen kennen, die dir im Wohnzimmer natürlich nicht begegnet wären.

Alex will jeden Sonnenstrahl einfangen und genießen. Das geht nur draußen.

Zum anderen das Wetter und die damit verbundenen Gedanken, die sich vor jeder Fahrt bewusst oder unbewusst ergeben. Wie kalt wird es und wie weit möchte ich ungefähr fahren? Was ziehe ich an? Nehme ich zusätzlich etwas mit? Treffe ich die richtigen Entscheidungen? Vielleicht, vielleicht nicht. Egal! Kämpfe. Spüre die Kälte in den Fingern, weil du zu dünne Handschuhe dabeihast. Versorge deine wunde Haut und die von Regen durchnässte Kleidung, die drei Tage nicht trocknet. Oder erlebe das Gefühl, deinen inneren Schweinehund überlistet zu haben, weil du vor der Arbeit um 4.30 Uhr aufgestanden bist, nur um in der Dunkelheit die ersten Kilometer auf dem noch feuchten Asphalt zurückzulegen. Genieße die ersten oder auch letzten Sonnenstrahlen auf deinem Körper. Sieh das Kopfschütteln der Arbeitskollegen, die nicht glauben können, dass du mal wieder die ganze Nacht unterwegs warst. Dass du nicht eine Sekunde geschlafen hast, obwohl dein Körper es gern getan hätte. Dass du dich von Tankstelle zu Tankstelle gehangelt hast, um irgendwo einen schlechten Kaffee zu trinken, der dich die nächsten Stunden wachhält.

Auch, wenn es manchmal weh tut, nichts geht für Alex übers draußen fahren und das Erleben seiner Umwelt

Weckt Indoor Cycling die Abenteuerlust in dir? Natürlich nicht. Echtes Radfahren ja. Genau darum geht es. Um Erlebnisse, die dir in Erinnerung bleiben. Positive, wie auch negative Erfahrungen werden dich stärker machen und mental auf die nächste Tour vorbereiten. Das kann dir keine Wohnzimmerfahrt bieten. Auch die Selbsterfahrung, mal ein Stück tiefer bei sich zu graben, in dich hineinzuhören – das kann dir kein warmes Wohnzimmer geben. Sich selber dabei zu beobachten, was es mental mit einem macht, sich den Bedingungen draußen zu stellen, ist meiner Meinung nach in absolut keiner Weise mit Indoor Cycling vergleichbar.

Was willst du denn deinen Enkeln später erzählen? Dass du im Wohnzimmer auf einen PC gestarrt hast und Fahrrad gefahren bist, ohne dich einen Millimeter fortzubewegen? Nein, Indoor Cycling und Rad fahren passen für mich schlicht und ergreifend einfach nicht zusammen.

Alex wohnt weit oben im Norden, wo es oft fiese Wetterbedingungen gibt. Dafür aber auch die Aussicht auf(s) Meer.