Rollentraining war über lange Zeiten die Hölle. Damit meine ich nicht die Bäche aus Schweiß, den Metallgeschmack im Mund und den für alle Fälle neben das Rad gestellten Mülleimer, sondern vor allem das Material. Rollentrainer waren umständlich zu bedienen, ließen sich bestenfalls hakelig verstellen und machten auch noch einen furchtbaren Lärm. Dass dem nicht mehr so ist, haben wir zu nicht kleinem Teil der Firma Wahoo zu verdanken. Mit dem ersten KICKR Rollentrainer haben sie die Szene gehörig aufgemischt. Seitdem hat sie nicht aufgehört, Innovationen auf den Markt zu werfen, die das Training im Keller oder Wohnzimmer bequemer machen.
Der KICKR ist seit Jahren ohne Zweifel einer der Referenzpunkte im Segment der Direct-Drive-Rollentrainer. Aber ist er sein Geld wert? Für die Summe bekommst du immerhin ein Rennrad mit Schutzblechen und Licht. Die Antwort auf diese Frage wird bei einem Blick in den Spiegel noch etwas komplizierter. Zumindest mir schaut da kein Profisportler entgegen, dessen riesiges Trainingspensum sehr detailliert auf bestimmte Rennen zugeschnitten ist. Ich vermute, dass ich damit nicht ganz alleine bin. Trotzdem ist es mir wichtig, zumindest halbwegs fit zu sein, um bei Touren in den Bergen auch den zweiten Anstieg noch halbwegs bequem hochzukommen. In den letzten Wintern habe ich deswegen mehr oder weniger unstrukturiert diverse Rollentrainer genutzt. Wieso sollte also ausgerechnet ich einen KICKR benötigen? Um das herauszufinden, hatte ich vier Wochen Zeit.
Technische Spezifikationen
Es lohnt sich, vor der ersten Session einen Blick ins Datenblatt des Trainers zu schauen. Eine Zahl fällt zuerst ins Auge: Der maximale Widerstand von 2200 Watt ist grotesk überdimensioniert und kann von Wahoo eigentlich nicht ernst gemeint sein. Selbst die wichtigsten Sprints auf Weltklasse-Niveau werden mit deutlich weniger Leistung gewonnen, sodass dieser Wert bestenfalls für die Marketingabteilung und eine Handvoll Bahnsprinter*innen von Interesse sein dürfte. Das gleiche gilt für die maximal simulierte Steigung von 20 %. Sie ist auf dem Papier beeindruckend, in der Realität aber belanglos. Die auf 2 % genaue Leistungsmessung hingegen interessierte mich, denn mein letzter Rollentrainer verlangte für eine halbwegs genaue Messung immer langwierige Vorbereitungen. Selbst nachdem alle Faktoren (Reifendruck, Raumtemperatur, Anpressdruck der Rolle …) angepasst waren, gab es immer wieder Sessions, wo ich mich während des ersten Intervalls fragen musste, ob ich über Nacht so viel schwächer geworden war oder die Leistungsmessung mal wieder komplett daneben lag. Beim KICKR entfällt die Fehlerquelle der Leistungsübertragung zwischen Hinterreifen und Trainer, weil man das Hinterrad komplett ausbaut. Seine Messgenauigkeit genießt außerdem einen sehr guten Ruf.
Aufbau
Wer als einzige sportliche Ertüchtigung Rennrad fährt und im dritten Stock ohne Aufzug wohnt, sollte sich den KICKR direkt ins Wohnzimmer liefern lassen. Mit Verpackung wiegt das Gerät nämlich stolze 25 Kilogramm. Das Aufbauen ist im Vergleich zur händischen Transport-Tortur ein Witz, so schnell ist es erledigt. Die Kassette ist bereits installiert, lediglich die Laufradgröße muss man mit einer Rändelschraube einstellen. Die Füße sind individuell höhenverstellbar – sehr praktisch auf Dielenboden. Sie sind auch ein- und ausklappbar, was in mir widersprüchliche Gefühle auslöst. Es klingt praktisch, dass Wahoo dem Gerät nicht nur ausklappbare Füße, sondern auch einen Tragegriff spendiert hat. Darüber haben sie aber scheinbar vergessen, wie schwer der KICKR ist. Meine Bandscheiben sind mir zu kostbar, als dass ich diesen vor (und vor allem nach) jeder Session durch die Wohnung trage. Für Leute mit wenig Platz und dickeren Oberarmen als meinen Zahnstochern dürften beide Features allerdings hochwillkommen sein.
Die Standfüße sind einzeln höhenverstellbar, und sorgen auch auf unebenen Böden für einen bombenfesten Stand Geniales Detail: Wenn du über da Kabel stolperst, flutscht der Stecker einfach aus dem flexiblen Anschluss, ohne Schaden anzurichten
Das Stromkabel wird, anders als bei anderen Rollentrainern, nicht direkt am Gehäuse eingesteckt, sondern an einem flexiblen Kabelausgang. Ein Segen, denn ich habe bisher noch keinen Rollentrainer besessen, bei dem ich nicht irgendwann über das Kabel gestolpert wäre. Dieses kleine Detail kann der Unterschied zwischen vier Wochen Wartezeit auf ein neues Netzteil und einem Schulterzucken sein.
Die erste Session
Das Rad am Trainer zu befestigen, ist exakt so kompliziert, wie ein Hinterrad einzubauen. Das gilt für Räder mit Steckachsen oder Schnellspannern. Die ersten Pedalumdrehungen sind dann allerdings ernüchternd. Der Trainer wird als „fast lautlos“ beworben, aber der Geräuschpegel liegt deutlich höher, als ich mir das vorgestellt hatte. Es dauert ein wenig, bis mir klar wird: Der KICKR ist so leise, dass ich vom Sound meines bestenfalls mittelmäßig gepflegten Antriebs genervt werde. Draußen geht das Klicken, Rasseln und Schleifen im Fahrtwind unter, im Wohnzimmer gibt es kein Verstecken. Etwas Feintuning kann nötig sein, wenn die Kassette wie bei mir am KICKR leicht anders positioniert ist als im Laufrad.
Die ersten Kurbelumdrehungen danach warte ich gespannt auf Betriebsgeräusche, aber bis auf ein leises Brummen und den (jetzt deutlich leiseren) Antrieb höre ich tatsächlich – nichts. Um das in besser vergleichbaren Werten auszudrücken: Bei vernünftig eingestellter Schaltung macht ein Kaffeevollautomat mehr Lärm als der KICKR. Mein älterer Smart Trainer hingegen spielte mit seiner Lautstärke eher in der Staubsauger-Liga. Für mich ist das eine Revolution, denn so kann ich ohne das Gefühl trainieren, dass meine recht geräuschempfindliche Nachbarin mit jedem Intervall wütender wird.
Feeling
Wieso realistisches Fahrgefühl so ein wichtiges Ziel vieler Hersteller von Rollentrainern ist, habe ich nie verstanden. Wenn ich auf dem Rollentrainer sitze, dann habe ich ganz andere Ziele, als wenn ich mit dem Rad vor die Tür gehe. Dementsprechend ist es für mich eher Nebensache, ob sich das Fahren auf dem Rollentrainer exakt so anfühlt wie das Fahren draußen. Alle Trainer, die ich bisher ausprobiert habe (einfache Magnettrainer, freie Rollen, Fluidtrainer und Smart Trainer) haben sich anders als das Fahren auf der Straße angefühlt. Auch auf dem KICKR sitzend spüre ich einen deutlichen Unterschied , aber das große Schwungrad trägt die Geschwindigkeit besser als alles, was ich bisher gefahren bin. Vor allem bei höherer Leistung habe ich nicht so sehr das Gefühl, durch klebrigen Schlamm zu fahren, welches ich bei anderen Trainern oft hatte. Der KICKR fühlt sich gerade im direkten Vergleich zu anderen Rollentrainern wirklich gut an, aber eine Straße kann man mit ihm noch nicht ersetzen.
Steuerung
Verbindungsproblemchen
Der KICKR wird über eine Smartphone-App gesteuert, die erfreulich übersichtlich gestaltet ist und sofort eine Bluetooth-Verbindung aufbaut. Die Kalibrierung geht schnell von der Hand und nach sehr kurzer Zeit kann man loslegen. Leider sind ein paar Features nicht komplett durchdacht. Die App kann beispielsweise im ERG-Modus den Widerstand vorgeben, aber komplette Workouts nur aufzeichnen. Wenn man nicht händisch die Leistungswerte ändern, sondern selbstgebastelte Workouts nachfahren möchte, muss man den Umweg über eine (kostenpflichtige) App wie zum Beispiel Trainerroad oder aber einen Radcomputer gehen. Da fangen die Probleme aber an: Ich hatte immer wieder mit Verbindungsabbrüchen zu meinem Garmin 820 zu kämpfen. Auch durch Firmwareupdates und unterschiedliche Positionen des Radcomputers wurde das Problem nicht behoben. Scheinbar kommen sich das ANT+-Signal für den Garmin und das Bluetooth-Signal für die App beim KICKR in die Quere. Wenn ich statt des Telefons meinen Laptop verwendete, blieb die Verbindung stabil. Zugegeben ein Ausnahmefall, weil die meisten Fahrer*innen sowieso alles von einem Gerät kontrollieren, aber nichtsdestotrotz ärgerlich.
Apps
Abgesehen von den Problemen mit dem Radcomputer funktioniert die Steuerung über Apps optimal. Zwift und Trainerroad verbinden sich sowohl über den Rechner als auch das Smartphone ohne Makel. Alle Apps erkannten jedes Mal prompt den KICKR und hatten keinerlei Verbindungsprobleme. Änderungen in der Intensität erfolgen sehr sanft. Das von vielen Wheel-On-Trainern bekannte Gefühl, plötzlich vor eine Wand zu fahren, trat nie auf.
Leistungsmessung
Die Leistungsmessung überzeugte mich auf der ganzen Linie. Schon vor dem ersten Spindown lieferte sie plausible Werte im Rahmen der Erwartungen. Auch im Alltag blieben die Werte konstant, Ausreißer nach oben oder unten hatte ich kein einziges Mal. Auch eine Übernachtung auf dem Balkon bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt (zu Testzwecken!) änderte daran nichts.
Wenn du bereits ein Powermeter an deinem Rad hast, kannst du einstellen, dass dessen Werte zur Steuerung des Trainers benutzt werden. So kannst du die Ungewissheit eliminieren, die leider mit der Verwendung mehrerer Powermeter einhergeht. Ein realistischer Vergleich deiner Indoor- und Outdoorfahrten wird so möglich. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Werte drinnen und draußen übereinstimmen. Meine Wohnzimmer-FTP liegt rund 15 % unter dem, was ich unter freiem Himmel leisten kann. Letzten Endes ist dieser Unterschied aber bestenfalls für mein Selbstbewusstsein relevant. Aus Erfahrung weiß ich: Wenn das Training drinnen wehtut, merke ich die Fortschritte auch draußen. Schick den KICKR also nicht zurück, nur weil dir die Zahlen deines ersten Leistungstests zu niedrig erscheinen. Es könnte an deinen Beinen liegen!
Konkurrenz aus dem eigenen Haus
Der KICKR ist fantastisch, gar keine Frage. Er ist allerdings auch nicht gerade günstig – und hier kommt der KICKR CORE ins Spiel. Auf dem Papier tun sich die beiden nichts: Ihre Innenleben sind bis auf ein schwereres Schwungrad identisch. Du kannst also genau die gleiche Lautstärke erwarten. Die 1800 Watt Maximalwiderstand und 16 % maximal simulierte Steigung des KICKR CORE reichen sowieso für alle Fahrer*innen, die keine realistischen Chancen auf ein Regenbogentrikot haben. Als letztes Argument bleibt dann das Gestell, und da punktet der KICKR. Er bietet einklappbare, in der Höhe einzeln verstellbare Standfüße und einen Tragegriff. Der KICKR CORE ist zwar auch einklappbar, aber mangels Griff deutlich umständlicher zu tragen. Er ist auch deutlich umständlicher auszubalancieren, weil seine Füße nicht einzeln höhenverstellbar sind. Wenn du wenig Platz hast und den Trainer nach jeder Session wegtragen musst, dann spricht das für den KICKR. Ob sie den doch recht stattlichen Aufpreis wert sind, musst du für dich entscheiden.
Im Betrieb ist der KICKR eine absolute Offenbarung: Er ist leise, verändert sanft den Widerstand und gibt exakte Leistungswerte aus. Man merkt mit jeder Pedalumdrehung, wieso er eine Referenz für andere Hersteller ist. Für mich war der KICKR vor allem wegen seines niedrigen Geräuschpegels und der präzisen Leistungsmessung ein Gamechanger. Als er in meinem Wohnzimmer stand, habe ich ihn doppelt so oft genutzt wie meinen alten Rollentrainer.
Bleibt die Frage: KICKR oder KICKR CORE? Du musst deinen Trainer nicht viel herumräumen? Dann gibt es in meinen Augen keinen Grund, nicht zum KICKR CORE zu greifen. Das gesparte Budget kannst du in einen KICKR HEADWIND oder gar einen KICKR CLIMB investieren. Mit diesen Geräten rückt dann tatsächlich eine Behauptung in greifbare Nähe, für die man noch vor kurzer Zeit ausgelacht worden wäre: Indoortraining macht Spaß!