Wer denkt, dass man mit 42 Jahren als Fahrradprofi zum alten Eisen gehört, hat offensichtlich Timo Pritzel noch nicht Pumptrack fahren sehen. Wenn er fährt, dann stehen alle anderen mit offenen Mündern am Rand, so mühelos fegt er durch die Kurven. Der Berliner hat uns einen groben Überblick über seine inzwischen 30 Jahre andauernde Karriere gegeben und außerdem verraten, wieso Yoga ihm mittlerweile wichtiger ist als doppelte Backflips.
Hey Timo, fang doch mal ganz vorne an. Wann hast du dein erstes BMX bekommen?
Das war 1983 nach dem Film „E.T.“. Ich bin in Berlin-Neukölln groß geworden und da hatten auf einmal alle auf dem Spielplatz ein BMX-Rad. Das hat mich total beeindruckt, wie die coolen Kids Wheelies gemacht haben. Meine Eltern sind immer viel Fahrrad gefahren und dann habe ich von denen Weihnachten 1983 mein erstes BMX-Rad in 16 Zoll bekommen.
Ich nehme an, dass du das BMX-Rad nicht sofort als Sportgerät wahrgenommen hast?
Nein, die Wheelies haben mich am Angang am meisten beeindruckt. Die älteren Kids haben mich dann öfter mal mitgenommen, weil die mich mochten und weil ich ziemlich schnell schon Skills auf dem Rad hatte. Für mich war das natürlich eine spannende Horizonterweiterung, meine Eltern waren da recht locker und haben mich einfach mitgehen lassen. Da bin ich als Sechsjähriger oft mit doppelt so alten Kindern unterwegs gewesen. Über einen Bekannten meines Vaters, der in seinem Motorradladen auch BMX-Räder verkauft hat, habe ich dann mitbekommen, dass es zwei BMX-Bahnen gibt und dann ging es mit BMX Race los. Das war für mich superspannend, dass es plötzlich um Gewinnen und Verlieren ging, aber das Training und das Vereinsding fand ich auch cool.
Wann war dann klar, dass BMX vielleicht mehr als nur ein netter Zeitvertreib sein kann?
Als ich da das erste Mal den Rambo-Eddie gesehen habe, wie er über die Rampen gesprungen ist, war das ein Aha-Erlebnis für mich.
Ich habe mich schon gleich voll da reingeschmissen und war auch schon damals ein Kämpfer, obwohl ich die ersten Rennen echt nur hinterhergefahren bin. Das war so ein ADAC-Rennen auf einer Wiese mit einem bisschen Flatterband und einer Trommel. Ich habe auf meinen BMX hinter zwei Kindern auf Klapprädern den letzten Platz gemacht. Das hat mich aber trotzdem motiviert und ging dann Stück für Stück weiter. Mein Verein hat auch immer mal wieder Shows gemacht und als ich da das erste Mal den Rambo-Eddie gesehen habe, wie er über die Rampen gesprungen ist, war das ein Aha-Erlebnis für mich. Mit 12 Jahren durfte ich schon die ersten Shows mitfahren – da war ich dann der Kleine, der schon springen kann. Die Mauer war gerade gefallen und ganz viele Autohäuser haben BMX-Shows gebucht, auch weil wir als Highlight zwei Autos zwischen die Rampen gestellt haben und drübergesprungen sind.
Ab wann gab es deine ersten sportlichen Erfolge?
Die ersten Sponsoren hatte ich so mit 13 und mit 14 Jahren bin ich das erste Mal Deutscher Meister im BMX Race geworden. Insgesamt habe ich das drei Mal geschafft. Mit 16 Jahren war die Schule dann vorbei und ich wollte einfach nur Fahrrad fahren. Ich habe dann einen Brief an eine amerikanische BMX-Zeitung geschrieben, eine Familie aus Las Vegas hat geantwortet und ich bin dann da einfach hin. Dann lebte ich auf einmal bei einer White-Trash-Familie, wo der Vater den Traum hatte, ein BMX-Team zu haben. Der hatte nur gesehen, dass ich Deutscher Meister war und wollte mich dann direkt holen. Las Vegas ist ja eine total verrückte Stadt, aber die BMX-Szene war cool und durch mein Rad habe ich schnell Leute kennen gelernt. Auch, weil ich sehr motiviert war: Ich habe zum Beispiel Mathe abgewählt und stattdessen Krafttraining gemacht und auf den Schulbus verzichtet. Jeden Tag 6 Meilen hin und wieder zurück, in der Schule dann Sport und Krafttraining und dann bin ich natürlich noch in jeder freien Minute BMX gefahren. Dadurch bin ich echt gut geworden und habe bei einem der damals größten Rennen der Welt, den ABA Grand Nationals, den dritten Platz gemacht. Daraufhin habe ich den Sponsor gewechselt, weil ich mir die Reisen zu den ganzen Rennen gar nicht leisten konnte. Gottseidank gab es da einen Kaufhausbesitzer in Las Vegas, der über seine drei Söhne eine Connection zu BMX hatte. Der hatte richtig Geld und hat einen alten Greyhoundbus gekauft und umgebaut, alle Flüge bezahlt – das war richtig geil für mich, so mit 17 Jahren durch die USA zu reisen.
Ich hatte schon Dirtjumps in Berlin gesehen, das fing damals so gerade an. Aber in den USA die Ur-Dirtjumps Sheep Hills kennen zu lernen, hat mich richtig gepusht. Ich bin schon immer viel gesprungen und als ich zurückkam, fand ich BMX Race in Deutschland ziemlich langweilig. Das war alles sehr spießig, es gab nur Regeln, der BDR hat alles kontrolliert …
So bin ich dann auf der BMX-Freestyle-WM 1996 in Köln gelandet und direkt auf das Cover der freedombmx [größte deutsche BMX-Zeitschrift, Anm. d. Redaktion] gekommen. Das hat mich sehr motiviert und von da an ging es richtig los mit Dirtjumping.
Du hast es dann aber nicht lange auf dem BMX-Rad ausgehalten und bist recht schnell auf größere Fahrräder umgestiegen, oder?
1997 war ich Fahrradpostbote, weil ich nach Las Vegas immer noch nicht so genau wusste, was ich machen sollte.
Genau. 1996 war das freedombmx-Cover, 1997 war ich Fahrradpostbote, weil ich nach Las Vegas immer noch nicht so genau wusste, was ich machen sollte. Mit BMX konnte man damals bis auf ein paar Shows hier und da nicht wirklich Geld verdienen. 1998 bin ich aber auf dem BMX Dirtjumping-Weltmeister geworden und habe dann gemerkt, dass man mit so einem Titel direkt viel mehr Aufmerksamkeit bekommt. In der Berliner Zeitung zum Beispiel gab es eine Funsportseite, wo ich ab da regelmäßig erwähnt wurde. Die Medien sind auf mich aufmerksam geworden, ich habe Jobs als Stuntdouble angeboten bekommen … Das ging dann immer so weiter, als Highlight gab es zum Beispiel den Hochsprungweltrekord, den ich in der Reinhold-Beckmann-Show aufgestellt habe.
Hier muss ich auch mal Marco Manthey erwähnen. Der war in meinem Race-Verein und so ein bisschen mein Vorbild und Mentor. Der hat mich immer mitgezogen und hatte auch schon ziemlich früh eine Agentur und hat damit die ersten King-of-Dirt-Events in Europa organisiert. Über den ging echt viel und von ihm habe ich ziemlich viel gelernt und auch ein bisschen Marketing mitbekommen, wie er mit Firmen umgeht und denen Sponsoring verkauft hat. In dem Alter war es für mich sehr wichtig, Vorbilder zu haben, um zu sehen, was möglich ist.
Also du hast recht früh schon gelernt, dass du mehr machen musst als nur Tricks?
Ja, auch weil ich schon sehr früh bei den Shows dabei war und mitbekommen habe, wie die organisiert wurden. Nachdem ich auf dem Cover der freedombmx war, bin ich aktiv auf Sponsorensuche gegangen und wollte unbedingt für S&M Bikes fahren. Ich habe stattdessen das Angebot bekommen, für GT zu fahren und das war im Endeffekt vielleicht die nicht so coole, aber richtige Entscheidung, weil ich da einfach viel mehr Möglichkeiten bekommen habe. Die haben mich dann auf Mountainbikefestivals sehen wollen und dadurch habe ich dann das erste Mal ein bisschen in diese Szene reinschnuppern können.
Das war dann auch die Zeit, wo es mit Mountainbike Dirtjumping richtig losging, oder?
Ja, genau. Mit mir ging es dann so Schritt für Schritt weiter. Auf einem Fotoshooting für das BIKE Magazin in Berlin habe ich John Cowan aus den USA kennengelernt, der gerade mit dem ersten Teil von New World Disorder [einer legendären Mountainbike-Videoserie, Anm. d. Redaktion] angefangen hatte. Ein Fahrer war verletzt und er hat mich dann eingeladen, einzuspringen.
Du warst dann ja wirklich einer der allerersten MTB Dirtjumper – würdest du sagen, dass du das miterfunden hast?
Nein, so kann man das nicht sagen. Von Eddie Roman, der früher auch eine Menge BMX-Videos gemacht hat, gab es da schon ein MTB-Video namens „Hammertime“. Da sind ganz viele BMXer wie Todd Lyons, Brian Lopes und Dave Voelker Mountainbike gefahren. Vorher gab es auch in Whistler die Freerider, die das schon immer gemacht haben. Ich war aber in Europa einer der ersten, der mit Mountainbike Dirtjumping bekannt geworden ist. Es hat sicher nicht geschadet, dass ich auch über große Distanzen Backflips konnte.
Es hat sicher nicht geschadet, dass ich auch über große Distanzen Backflips konnte.
Für deine Flips über große Sprünge warst du immer berühmt-berüchtigt.
Damals war das ja auch noch ein großer Trick, heute ist das ja bestenfalls noch eine Aufwärmübung. Ich habe den 1996 gelernt und dann konnte ich den wirklich gut, auch über 20 Meter oder mit den ersten Variationen. Zurückblickend war das damals ganz schön haarig, weil wir noch keine Foampits oder Resiboxen hatten. Ich habe in Marzahn einfach ein paar Pappkartons auf den Table gelegt, den Trick vorher beim Lakejumping ein paar Mal angetestet und dann einfach gemacht. Mir hat aber enorm geholfen, dass ich in den USA bei TJ Lavin gesehen hatte, was möglich ist. Der war nicht so ein guter Racer, aber ein hervorragender Dirtjumper. Ich war in Las Vegas noch der klassische Racer – schon ein paar Skills, aber eigentlich ein steifes Muskelpaket.
Wann hast du das letzte Mal einen Flip gemacht?
Bei den Audi Nines vor ein paar Wochen. Ich habe den Trick nicht zu den Akten gelegt, ab und zu mache ich das doch noch. Das waren zwar Hügel und mein Körper sagt mir dann schon, dass es mit 42 langsam genug ist. Den Trick mache ich aber seit 1996 und ich taste mich dann in Ruhe heran. Ich war eine Woche vor Ort, gewöhne mich an die Line und dann passt das auch. Ich freue mich auch, wenn ich auf einem Event Yogaunterricht gebe, aber auch noch jemand von mir Fotos macht.
Du fährst jetzt seit 30 Jahren auf solchen Events – was treibt dich denn immer noch dahin?
Ich lebe immer noch meinen Kindheitstraum, reise in der Welt herum und mache meine Leidenschaft zum Beruf. Auch, wenn ich dabei nicht reich werde, aber ich war jetzt gerade zehn Tage in Slowenien und Italien und habe Yoga an einer Universität unterrichtet und Mountainbike-Fahrtechnikkurse in einem Bikepark gegeben. Zwischendurch hatte ich Urlaub und das ist ein super Beispiel, wie schön mein „Job“ sein kann.
Ich bin stolz, aber auch sehr happy, mit meinem Fahrrad herumzureisen und Leute zu inspirieren.
Da gibt es schon noch Sponsoren und Events, die mich als Stuntman haben wollen und ich muss dann auch immer Nein sagen. Das ist schon eine Challenge, auf mein Bauchgefühl zu hören, aber wenn ich das nicht tue, dann verletze ich mich nur. Wenn ich jetzt stürze, dann verarbeite ich die nicht so wie noch mit 20 Jahren. Ich bin stolz, aber auch sehr happy, mit meinem Fahrrad herumzureisen und Leute zu inspirieren. Da sind jetzt noch andere Sachen dazugekommen, wie zum Beispiel Yoga oder meine Tochter, aber das gibt mir das gleiche Gefühl, wie mit 16 Jahren einen neuen Trick zu lernen.
In deiner langen Karriere bist du auch schon eine Menge Fahrräder gefahren. Erinnerst du dich noch an dein erstes BMX-Rad?
Ja, natürlich. Das war ein 16“ Kalkhoff, das leider nicht so gute Teile hatte. Ich habe da als Sechsjähriger die Kurbeln verbogen, die waren also echt nicht so toll. Es ist echt cool, wie sich das jetzt alles verbessert hat. Allein, dass Kinder heutzutage mit einem Laufrad schon viel früher balancieren lernen und auf Pumptracks fahren, ist supercool.
Hat dein erstes Mountainbike länger gehalten als dein erstes BMX?
Ich hatte mir so um 1998 rum ein Mongoose Hardtail ausgesucht, weil ich das vom BMX kannte. Damit bin ich Touren gefahren, vor allem mit meinen Eltern, aber auch schon ein bisschen gesprungen.
In der BMX-Szene ist es oft so, dass die Leute keine Lust auf andere Fahrräder haben. Das scheint bei dir nicht so gewesen zu sein.
Nein, ich war da ganz offen. Ich habe das natürlich mitbekommen, als ich angefangen habe, Mountainbike zu fahren. Damals wurde fast so getan, als hätte ich angefangen, Inline zu fahren. Der Hate war schon da, aber ich hatte einfach Blut geleckt, war in Kanada Mountainbike fahren und hatte kennengelernt, dass Mountainbike mehr ist als Cross Country und rasierte Beine. Da konnte ich wirklich hinterstehen, trotzdem habe ich das auch manchmal sehr persönlich genommen, wenn Leute über mich gelästert haben. Ich war schon ein Vollblut-BMXer und konnte mir überhaupt nicht vorstellen, komplett zum Mountainbike zu wechseln. Das hat sich dann aber einfach so entwickelt, weil ich immer mehr Angebote in die Richtung bekommen habe. Ich habe dann schon gemerkt, dass ich mich entscheiden muss und nicht dauernd in Kanada und Australien für MTB-Drehs unterwegs sein und dann zwischendurch in Deutschland einen BMX-Contest fahren kann.
Gab es einen Zeitpunkt, wo du dir selber gesagt hast, dass du jetzt Mountainbiker bist und kein BMXer mehr?
In Paris-Bercy, da war ich für Vans auf einer BMX- und Motocross-Show. Cory Nastazio sollte eigentlich da der Superstar sein, ist aber kurzfristig nicht gekommen und die brauchten dann jemanden, den sie hochpushen konnten. Es gab ein paar französische Fahrer und ich war der einzige, der aus dem Ausland kam. Da 1999 die WM wegen schlechtem Wetter ausgefallen war, haben die mich als amtierenden Weltmeister präsentiert. Ich war gerade von einem Milzriss zurückgekommen und habe dann gemerkt, dass ich da einfach nicht mithalten konnte, weil alle anderen Fahrer sich trickmäßig krass weiterentwickelt hatten. Im Endeffekt war dann alles cool, aber es war trotzdem krass, so kurz nach einer so schweren Verletzung wie einem Milzriss vor 10.000 Zuschauer*innen als der Star angekündigt zu werden.
Brauchtest du eine Umgewöhnungsphase, bis du dich an die größeren Laufräder gewöhnt hattest?
In meine Federgabel habe ich mir abgesägte Lenkerenden gesteckt, weil ich als BMXer Federung doof fand.
Nein, überhaupt nicht. Ich habe natürlich Anfängerfehler gemacht, weil ich dachte, dass man auch im Wald mit fünf Bar fährt. Für die Dreharbeiten für New World Disorder habe ich mir einen Cross-Country-Rahmen in S bestellt und dann da BMX-Teile drangebaut. In meine Federgabel habe ich mir abgesägte Lenkerenden gesteckt, weil ich als BMXer Federung doof fand. Damit bin ich die großen Helltrack-Hügel gesprungen. Die Technik war damals einfach noch nicht so weit, die Kette ist dauernd abgesprungen, die Schaltaugen sind immer verbogen. Für die Rennen waren die Räder in Ordnung, aber alles andere haben die nicht ausgehalten. Man hatte echt kein Vertrauen ins Material und wenn man auf einem zehn Meter hohen Startturm steht, ist das kein gutes Gefühl. Ich bin superhappy, dass die Technik so viel besser geworden ist.
Was für Räder hast du denn heute regelmäßig im Einsatz?
Mein Marin Alcatraz, das ich zum Dirtjumpen und für Pumptracks benutze. Das hat eine superschöne Geometrie und ist super zu springen. Matt Jones hat da beim Design mitgewirkt und der kennt sich echt aus. Ich bin jetzt auch ziemlich viel das Marin Wolf Ridge gefahren, das ein perfektes Allroundbike ist, auch wenn es auf den ersten Blick ungewohnt aussieht. Da hat Marin echt was Neues ausprobiert, das ist so ein absolutes Hightechding. Wenn du den Berg hochfährst, hast du Kettenspannung und es fährt sich fast wie ein Hardtail, während du bergab eine großartige All-Mountain-Federung hast.
Ich habe jetzt gerade auch noch das Marin Alpine Trail bekommen und bin total begeistert, weil es 29“ Laufräder und 150 Millimeter Federweg hat, aber trotzdem total verspielt ist. Ich habe nicht das Gefühl, auf einem Riesenschiff zu sitzen und nur Downhill fahren zu können. Das ist eine sehr gute Mischung aus einem Bergabbike und einem Bergaufbike. Ich bin vorher auch viele andere 29“er gefahren, aber das Alpine Trail ist von der Geometrie viel verspielter und gelungener.
Mit dem Rad bist du dann hier in Berlin und Umgebung unterwegs? Auf dem Papier sind die beiden Räder ja eher für gröberes Gelände ausgelegt.
Ja, genau. Das ist eine echt coole Entwicklung, vor ein paar Jahren brauchtest du noch viele verschiedene Räder: ein Downhillrad für den Bikepark, ein Cross-Country-Rad für Touren und ein Endurorad, wenn du abfahren willst, aber keinen Lift hast. Jetzt hast du ein Bike wie das Alpine Trail, mit dem du alles fahren kannst. Damit hast du Spaß im Bikepark und wenn es rough wird, kannst aber auch bergauf treten.
Du bist ja inzwischen auch für mehr als nur Fahrradfahren bekannt. Wie bist du denn zum Yoga gekommen?
Schon mit Mitte 20 hatte ich recht schwere Rückenprobleme und die Schulmedizin konnte mir überhaupt nicht helfen. Zwei verschiedene Ärzte haben bei mir Skoliosis diagnostiziert und mir nur Schmerztabletten verschrieben. Für eine Ärztin, die Spezialistin für Rückenprobleme war, war ich sowas wie das Aushängeschild. Ich habe ein Poster für ihren Sohn unterschrieben und sollte dann alle drei Monate zum Röntgen kommen, weil sie in einer Studie zeigen wollte, wie es allmählich schlimmer wird.
Dann habe ich mir beim Crankworx 2004 in Kanada den Fuß gebrochen und alle Bänder abgerissen. Ich hatte das Gefühl, dass ich trickmäßig nicht mithalten konnte – aber ich konnte halt gut springen und da habe ich versucht, komplett über eine Box zu springen und bin eingeschlagen. Auch wenn ich eigentlich recht entspannt bin, bin ich doch ein Kämpfer und will gewinnen, wenn ich in einem Wettbewerb fahre. Ich war dann also verletzt, und es war Winter. Also bin ich für vier Monate nach Asien geflogen, habe da ein paar Sachen ausprobiert und bin bei Yoga hängen geblieben.
Wie meine Yoga-Lehrerin immer sagt: „Aus Scheiße kann man guten Dünger machen.“
Ich hatte vorher schon meine Fühler in die Richtung ausgestreckt, weil ich Wettbewerbe nur noch mit Cortisonspritzen fahren konnte und die irgendwann auch nicht mehr geholfen haben. Das hat natürlich frustriert. Es ist in dem „Beruf“ normal, dass man relativ regelmäßig schwere Verletzungen hat und es gehört dazu, damit umgehen zu können. Yoga war dann eine super Erfahrung, oder wie meine Yoga-Lehrerin immer sagt: „Aus Scheiße kann man guten Dünger machen.“ Ich musste einfach lernen, auf mich zu achten, zum Beispiel meine Ernährung umstellen. Mein Magen war von den ganzen Schmerzmitteln komplett kaputt.
Was bedeutet Yoga für dich?
Es ist schwer, das in ein paar Sätzen zu sagen. Früher war ich happy, wenn ich einen 20-Meter-Double gesprungen bin, da war ich im Jetzt, da war ich glücklich und voll mit Endorphinen. Als ich diesen Kick das erste Mal auf der Yogamatte gespürt habe, war ich sehr beeindruckt. In dem Moment habe ich auch gemerkt, wie sehr mein System innere Ruhe brauchte. Wenn du immer im Kämpfermodus bist, tut das auf Dauer nicht gut. Man lernt sonst so wenig über Atmung, aber das ist so wichtig ist, das ist die Grundlage von allem. Für mich selbst viel zu lernen und das damit zu verbinden, Leuten zum Beispiel mit Rückenproblemen zu helfen, gibt mir sehr viel. Das bedeutet aber nicht, dass ich nur noch Yoga mache. Für mich ist es cool, immer noch Fahrradprofi zu sein, auch wenn ich keine großen Stunts mehr mache. Mit den neuen Tricks kann und will ich nicht mehr mithalten, ich bin 42.
Wenn ich auf großen Wettbewerben bin, dann werde ich von deutlich jüngeren Fahrern angesprochen: Hey, du bist doppelt so alt wie ich, aber du shreddest immer noch! Und dann sehen die, dass ich keine Schmerzmittel nehme und mein eigenes Essen mitbringe. Wenn ich denen ein bisschen helfen kann, ist das schon cool.
Danke für das Interview!
Timo Pritzel ist 42 Jahre alt und lebt in Berlin. Ihr findet ihn auf Facebook und Instagram.
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