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Ein Radjournal von Brügelmann

Biketest: Das 2021er Cannondale Scalpel SE – Cross Country mit dem gewissen Extra

Biketest: Das 2021er Cannondale Scalpel SE – Cross Country mit dem gewissen Extra

Das neue Cross-Country-Fully mit Enduro-Genen.

Brügelmann Blog 19. August 2020 6 min.

Cannondales 2021er Scalpel wurde von Grund auf neu entwickelt. Es ist und bleibt Cannondales effizientes XC-Racebike, wurde aber garniert mit einem neuen Fahrwerk sowie einer neuen Geometrie, die für noch mehr Fahrspaß für die Abfahrt sorgen soll. Mit dem Modell Scalpel SE treibt Cannondale diese neuen Tugenden auf die Spitze: Es hat noch mehr Federweg (120 Millimeter vorne und hinten) und eine noch lässigere Geometrie – es ist ein superleichtes Cross-Country-Fully mit einer ordentlichen Portion Enduro-Genen. Ob dieser Mix funktioniert, haben wir ausprobiert!

Wenn wir einen Blick in die Vergangenheit des Mountainbikesports werfen, dann stellen wir fest, dass früher vieles einfacher zu kategorisieren war: Es gab die lässigen Downhiller, die im Motocross-Style schonungslos auf actionreichen Rüttelpisten um Bestzeiten kämpften und es gab die Cross-Country-Rennfahrer, die in Spandex bekleidet den superfitten und seriösen Konterpart darstellten. Man war das eine, oder das andere – zumindest in der Regel. Und so hatte man eben superflache, schwere Highspeed-Federwegsboliden, die bergauf unfahrbar waren oder superleichte, nicht unbedingt superrobuste Leichtbaufeilen für die eher einfach gehaltenen XC-Rennkurse, denen man aber bergab tendenziell eher nicht viel zutraute.

Von wegen lammfromm: Das neue Scalpel SE entpuppt sich bergab als echte Trailrakete!

Diese Zeiten sind lange vorbei. Heute sind Downhillfahrer ebenso fit wie Cross-Country-Racer ihr Bike beherrschen. Die Grenzen verschwimmen nicht zuletzt auch deshalb, weil die Technik so leistungsfähig geworden ist. Downhillbikes werden immer leichter und XC-Fahrräder lassen sich über immer anspruchsvollere Pisten fahren, weil ihre Fahrwerke so leistungsfähig und ihre Geometrien so spaßorientiert geworden sind. Dazwischen gibt es Allmountain-, Enduro-, Freeridebikes und wie sie alle heißen. Diese Entwicklung dauert seit Jahren an und ist gewiss nicht ganz neu. Dennoch setzt Cannondale mit seinem neuen Scalpel SE nochmal einen obendrauf.

Höchste Effizienz bis ins letzte Detail. Im federleichten Carbonrahmen steckt ein RockShox SIDLuxe Select+ mit effizienter Druckstufenabstimmung sowie „Lock“-Position.

Das neue Scalpel SE hat mit dem Ur-Scalpel, einem der XC-Rennfully-Klassiker schlechthin, in der Tat nicht mehr viel gemeinsam. Oder drücken wir es lieber so aus: Es hat immer noch das, was das Scalpel seit jeher ausmacht plus eine dicke Portion Extraspaß. Konkret: Es ist superleicht, es ist supereffizient und es ist superschnell. Noch dazu hat es satte 120 Millimeter Federweg, 29-Zoll-Bereifung und eine Geometrie, die auch auf richtig fordernden Trails eine Menge Spaß machen dürfte. Das klingt nach einem ziemlich Spagat, oder nicht? Ob dieser gelungen ist, wollten wir einmal herausfinden.

Die Technik-Facts

Hier wollen wir gar nicht zu sehr in die Tiefe gehen, denn das haben wir bereits hier getan. Trotzdem gibt’s hier nochmal das Wichtigste im Überblick. Neben den „Standard-“ Scalpel Modellen gibt es auch 2021 zusätzlich die SE-Edition. „SE“-steht bei Cannondale für oben erwähnten „Extraspaß“. Im Falle des Scalpel SE bedeutet das 20 Millimeter mehr Federweg (im Vergleich zu klassischen 100 Millimetern vorn und hinten bei der Standardversion), eine etwas flachere Geometrie und eine etwas robustere Ausstattung. Insbesondere die Dropper Post ist zu erwähnen, die für alle, die Wert auf gute Abfahrtseigenschaften legen, unverzichtbar ist.

Wer Trails liebt, wird auch die Dropper-Post im Scalpel SE vergöttern

Vorn wie hinten bietet die SE-Version satte 120 mm Federweg

29-Zoll-Laufräder sorgen für überlegene Überrolleigenschaften. Wer es bergab noch mehr krachen lassen will, kann leicht robustere Reifen montieren.

Grundsätzlich bekam das 2021er Scalpel ein ordentliches Upgrade verpasst. Besonders zu erwähnen ist der neue Hinterbau, der im Prinzip ein Viergelenker ist. „Im Prinzip“, weil das vierte Lager eigentlich keines ist. Stattdessen besitzt der Hinterbau eine „FlexStay“-Kettenstrebe aus Carbon. Die Kettenstrebe „verbiegt“ sich also sozusagen beim Einfedern und simuliert auf diese Weise ein Kugellager. Die theoretischen Vorteile leuchten ein: Dieses System spart sich zwei Lager und somit Gewicht (der Rahmen beginnt bei sensationellen 1.900 Gramm). Außerdem geht keine Steifigkeit verloren und das Design dieser FlexStay-Zone (und somit die Hinterbau-Kinematik) lässt sich individuell für jede Rahmengröße auslegen. Trotzdem soll diese Technik die bekannten Vorteile eines Viergelenkers bieten, also vor allem Brems- und Antriebsneutralität.

Gewichtsoptimierung bis ins kleinste Detail: Diese Miniaturkettenführung hält die Kette in Zaum

Nie wieder das Wichtigste vergessen: Das „Stash-System“ bietet Platz für Tool, Pumpe und Tubeless-Reparaturkit. Wer lieber Gewicht spart, lässt auch das noch zu Hause.

Weitere bemerkenswerte technische Features des Bikes sind der integrierte Stauraum unter dem Flaschenhalter (das „Stash-System“), der ein Minitool, ein Tubeless-Reparaturkit sowie eine Pumpe aufnimmt, der Cannondale-Connect-Sensor, der sich mit der Cannondale-App koppeln lässt, sowie die interne Leitungsführung mit innen verlegten „Linern“, die das Verlegen von Zügen und Leitungen zum Kinderspiel machen.

Mountainbike 2.0 – wer mag, kann sein Bike voll vernetzen und es mit der Cannondale-App verbinden. Dieser Sensor liefert die notwendigen Daten.

Das Model Scalpel SE wiegt komplett übrigens knapp über elf Kilo. Das fühlt sich verdammt leicht an und macht wirklich neugierig. Was kann so ein Leichtgewicht im ernsthaften Trail-Einsaz?

Auf den Trails

Zugegeben: Ein bisschen skeptisch sind wir schon. Denn was in der Theorie gut klingt, muss noch lange keinen Spaß machen. Ein 11-Kilo Leichtbaurad mit einer biegsamen Kettenstrebe und 120 Millimeter Federweg auf waschechten Endurotrails? Nichts anderes steht heute unserem Testbike bevor. Dazu ein paar knackige Uphills und ein paar ordentliche Sprints – wir spulen das gesamte Mountainbike-Spaß-Programm ab.

Schon beim Aufsitzen wird klar: Das hier ist kein langweiliges Cross-Country-Bike. Das Scalpel SE fühlt sich nach Spaß an. Seine Geometrie ist genau in dem Maß flacher, dass es vom lammfrommen Racebike zur waschechten Trailrakete avanciert. Worauf warten wir also noch? Tschüss, langweiliger Feldweg, hallo wurzeliger Singletrail!

Erstmal geht’s bergauf. In dieser Disziplin schlägt sich auch das SE-Scalpel ganz hervorragend.

Auf dem Weg zum Trailspaß fallen uns gleich noch ein paar weitere Besonderheiten auf. Da wäre das „Federungsgefühl“ des Hinterbaus. Das ist schon ein bisschen anders als gewohnt. Aber irgendwie gut: Die biegsame Kettenstrebe kennt nämlich kein Losbrechmoment. Und so reagiert der Hinterbau extrem sensibel, aber doch in einem angenehmen Maß straff. Diese Mischung ergibt eine supereffiziente Federung. Der Hinterbau reagiert extrem sensibel auf kleinste Unebenheiten, wird aber gegen Ende des Federwegs deutlich progressiver. Er bügelt nicht alles glatt, sondern lässt den Fahrer über den Untergrund „gleiten“. Diese sensible, aber straffe Federung animiert zu einem verspielten, aktiven Fahrstil. Wir drücken uns aus jeder Kurve heraus, nutzen kleine Wellen, um Schwung zu generieren und springen, wann immer es geht, über Wurzeln und Steine, als würden wir auf einem dicken Endurobike sitzen.

Gibts denn schöneres als mit dem Mountainbike durch einen grünen Farn-Trail zu flowen?

Richtig gut: Der 1-fach-Antrieb macht einen tadellosen Job und sorgt für knackig-präzise Schaltvorgänge

Bissige XT-Bremsen von Shimano sorgen für optimale Kontrolle, auch wenn es mal steiler und schneller bergab geht als gewohnt

Sitzen wir aber nicht. Was spätestens dann auffällt, wenn es wieder bergauf geht. Ein Elf-Kilo-Bike ist bergauf (und nicht nur da) ein Traum! Noch dazu, wenn der Hinterbau derart effizient funktioniert, wie der des Scalpel SE. Und wenn man es einmal gern noch eine Nummer straffer hätte, braucht man nur zwei Hebel zu betätigen: Gabel und Dämpfer besitzen eine einstellbare Druckstufe, mit der sich die Federung nahezu blockieren lässt. Wer gern ab und an mal Hardtail-Feeling genießt: bitteschön.

Wer „DAS“ Mountainbike sucht, wird das neue Scalpel SE lieben. Es ist kein reiner XC-Race-Spezialist und es ist kein dickes Endurobike. Es vereint das Beste aus beiden Welten: geringes Gewicht, einen straffen, effizienten Hinterbau und eine Geometrie, die perfekt für Flowtrails und typische Mittelgebirgs-Singletrails geeignet ist. Vor allem aber macht dieses Bike jede Menge Spaß, und zwar auch Fahrern, die technisch versiert sind und sich eher als Enduro- und nicht als Cross-Countryfahrer sehen. Das Scalpel ist eine echte Rakete auf den Trails. Mehr Mountainbike bei weniger Gewicht wird man wohl zurzeit nicht finden.