Ein Freund des Hauses hat den Winter in Girona verbracht und dort ordentlich Grundlagenkilometer und Sonnenschein als Vorbereitung für die neue Saison getankt. Wenige Tage, nachdem er mit einem fertigen Reiseratgeber im Gepäck von der Mittelmeerküste zurückgekehrt war, wurden in ganz Europa die Grenzen geschlossen. Spanien war eins der Länder, die besonders hart vom Coronavirus getroffen wurden – zum Glück scheint dort das Schlimmste überstanden zu sein. Seit Sonntag sind auch die Grenzen für touristische Reisen wieder geöffnet. Und auch, wenn wir im Moment noch etwas vorsichtig sein sollten, kann es sicher nicht schaden, Girona als Option für das nächste Winter- oder Frühlingscamp im Hinterkopf zu behalten.
Ah, Bella Italia! So oder so ähnlich reagieren Menschen, wenn man ihnen berichtet, dass die nächste Reise nach Girona geht – jedenfalls alle Nicht-Fahrrad-Verrückten. Zugegebenermaßen klingt Girona auch wirklich etwas nach Italien. Aber wer sich ein wenig auskennt, der weiß, dass Girona erstens in Spanien liegt und zweitens auf der Fahrradlandkarte schon etwas länger ganz dick unterstrichen ist. Wir haben uns auf den Weg gemacht, um die sagenumwobene Stadt, in der mindestens 100 Radsportprofis und ein Triathlonweltmeister wohnen sollen, zu erkunden.
Anreise
Girona besitzt einen eigenen Flughafen, zu dem es sogar von Deutschland aus Direktflüge gibt. Allerdings beschränkt sich das Angebot im Moment dabei auf ausgesuchte Tage und die Flughäfen Frankfurt/Main, Karlsruhe/Baden-Baden und Memmingen – es bleibt zu hoffen, dass sich das Angebot ausweitet, je mehr das Coronavirus im Griff ist. Der Anbieter ist Ryanair. Über diesen ist auch eine Fahrradmitnahme möglich, welche bei einer Buchung im Internet 60 Euro pro Flug kostet. Mit einer Flugzeit von weniger als zwei Stunden (je nach Richtung) ist man ziemlich schnell vor Ort.
Wer umweltbewusst mit dem Zug anreisen möchte, konnte dies zumindest im Winter noch relativ einfach tun. Ab Köln fuhr man sogar in unter zwölf Stunden, allerdings ohne Fahrradmitnahme und mit dreimal Umsteigen. Wer mit dem Zug anreisen möchte und sein eigenes Fahrrad dabei haben will, der muss zwingend zum Schalter gehen und seine Reise dort buchen. Im Moment ist die offizielle Fahrradmitnahme allerdings zumindest auf der Strecke mit der DB schwierig bis unmöglich, weil Fahrradplätze in gekürzten Zügen fehlen. Das ändert sich hoffentlich bald wieder. Mit einem kompakten Radkoffer kann die Reise auch im ICE klappen.
Da Girona nur ungefähr 100 Kilometer entfernt von Barcelona liegt, lohnt sich eventuell eine Anreise über die katalanische Hauptstadt. Von Barcelona kann man dann ziemlich entspannt unter anderthalb Stunden mit dem Zug oder Mietwagen nach Girona kommen. Wer mit dem eigenen Rad und wenig Gepäck unterwegs ist, dem empfehlen wir die Strecke gleich als erste Tagestour mit dem Fahrrad zurückzulegen.
Klima und beste Reisezeit
Da Girona sehr nah am Mittelmeer und nicht hoch in den Bergen liegt, herrscht in der Stadt ein warmes und gemäßigtes Klima. Über die kühlen Monate November bis Februar ist es zwar nachts sehr frisch, mit Temperaturen um den Gefrierpunkt, dafür kann die Temperatur im Tagesverlauf ohne weiteres auf über 15 Grad Celsius steigen. In diesen Monaten fällt auch eher wenig Niederschlag. Der regenreichste Monat ist der Oktober.
Für den Fahrradurlaub oder das Trainingslager kann man Girona deshalb das ganze Jahr über empfehlen. Im Sommer allerdings herrscht in und um Girona oft eine trockene Hitze. Daneben sind über den Sommer auch die meisten Touristen in der Stadt, was vor allem die Hotelpreise nach oben treibt. Dann wird auch der Platz ziemlich knapp, was man sowohl auf der Straße, in den Bars und Restaurants, aber auch bei der Parkplatzsuche zu spüren bekommt. Die beste Reisezeit zum Radfahren sind in jedem Fall die Frühlings- und Herbstmonate.
Unterbringung und Leben
Da Girona bei normalen Tourist*innen immer noch als Geheimtipp gilt und sich die Stadt erst in den letzten Jahren touristisch entwickelt hat, gibt es nur eine begrenzte Anzahl an Hotels und Apartments. Dafür sind diese dann aber, vor allem in der Nebensaison, zu erschwinglichen Preisen zu bekommen und zu alledem zentral gelegen.
Ein kleines Fettnäpfchen für Ausländer ist die Identität der Bevölkerung. Du machst dich schnell unbeliebt, wenn du Girona zu Spanien zählst. Geographisch mag das richtig sein, die Einwohner*innen von Girona verstehen sich zum überwiegenden Teil allerdings als zu Katalonien gehörig. Die katalanische Identität macht sich auch im Stadtbild bemerkbar. Überall sieht man gelbe Schleifen und die katalanische Flagge. Das kann auch die Kommunikation erschweren, denn in Girona wird vor allem Katalanisch und nicht Spanisch gesprochen. Mit Englisch kommt man nur bedingt weiter, durch Hände und Füße kann man sich aber auch sehr gut erklären.
In Girona wird mediterraner Lifestyle gelebt – das Leben in der Stadt geht erst relativ spät los. Zwischen 8 und 9 Uhr am Morgen fangen die Straßen erst an, sich zu füllen. Geschäfte (auch die meisten Bäckereien und Cafés) öffnen in der Regel nicht vor 9 Uhr. Die in Spanien typische Siesta von 13 bis 15 Uhr machen viele Geschäfte, aber längst nicht mehr alle. Sämtliche größeren Lebensmittelgeschäfte haben auch über die Mittagsruhe geöffnet.
Wer gern früh zu Mittag oder Abend isst, der muss entweder selbst kochen, oder seinen Rhythmus etwas umstellen. Es gibt einige Restaurants mit Mittagstisch, allerdings fast immer erst ab 13 Uhr. Auch am Abend verschiebt sich das Essen, jedenfalls für deutsche Verhältnisse, weit nach hinten. Erst ab 19.30 oder 20 Uhr kann man in den meisten Lokalen etwas zu essen bestellen.
Hot Spots zum Radfahren
Dass Girona eine fahrradverrückte Stadt ist, merkt man nicht zuletzt an der Vielzahl von Radläden und Bike-Cafés. Das Angebot reicht von klassischen Shops und Werkstätten über Restaurants bis hin zum Komplettangebot mit Massage und Wäscheservice. Wir stellen euch fünf der wichtigsten Hotspots vor. Daneben gibt es aber auch noch eine ganze Reihe weiterer Läden.
Espresso Mafia
Dass Kaffee und Fahrrad fahren zusammengehören und warum das so ist, haben wir in diesem Beitrag schon einmal erläutert. Die erste Adresse in Girona für ein koffeinhaltiges Heißgetränk ist unumstritten die Espresso Mafia. Dort gibt es ein reichhaltiges Angebot verschiedener Kaffeespezialitäten mit Bohnen aus der eigenen Rösterei. Mit ein wenig Glück kann man den ein oder anderen Profi beim Pre- oder After-Ride-Coffee antreffen. Jan Frodeno soll dort zum Beispiel des Öfteren gesehen worden sein.
The Service Course
Wer sich auch selbst mal wie eine*r dieser Profis fühlen möchte, dem empfehlen wir den Shop The Service Course. Dort gibt es neben ziemlich coolen Trikots und Hosen auch Leihräder und geführte Touren. Wer sich rundum verwöhnen lassen möchte, der kann das Komplettangebot inklusive Premium-Leihrad, geführter Radtour, Dusche, Massage und Wäscheservice buchen. Näher werden die meisten normal Talentierten dem Profileben wohl nie kommen. Die Werkstatt hilft darüber hinaus allen, die mit ihrem Rad ein Problem haben.
La Fabrica
Wer sich ein leckeres Essen in einem besonderen Ambiente gönnen möchte, dem empfehlen wir das Restaurant La Fabrica. In einem detailverliebten und radbegeisterten Rahmen kann man dort kleine und große Speisen zu sich nehmen. Wer von dem besonderen Flair dieses Ladens etwas mitnehmen möchte, der kann sich hier mit verschiedenen Souvenirs wie Trikots, Rennradkappen oder auch Kaffeebechern versorgen.
Bike Breaks
Bike Breaks ist ein etwas klassischerer Radladen als The Service Course. Dort lassen sich alle wichtigen Besorgungen machen. Von der Luftpumpe über das Trikot bis hin zum Leihrad bekommt man hier alles. Auch geführte Touren kann man hier buchen. Bei mechanischen Problemen hat man hier ebenfalls einen Anlaufpunkt.
Bikecat
Der Bikecat Shop bietet ein sehr ähnliches Angebot. Vor Ort oder vorab lassen sich verschiedene Räder und geführte Touren buchen. Der Unterschied zu anderen Anbietern liegt vor allem darin, dass die Touren hier einem bestimmten Motto unterliegen. Es kann um Wein gehen, die nahegelegenen Pyrenäen, oder einfach um die Highlights in und um Girona.
Touren und Highlights
Das Umland von Girona ist prädestiniert für epische Touren. Die Nähe zur Costa Brava, die hügelige und abwechslungsreiche Landschaft um die Stadt, aber auch die angrenzenden Pyrenäen lassen dir sehr viel Spielraum für gelungene Ein- oder Mehrtagestouren. Wir haben hier unsere fünf Highlights für Touren zusammengetragen.
Els Angels
Diese Berg-Kuppe liegt nur wenige Kilometer von Girona entfernt und ist deshalb ein absoluter Hotspot. Er bietet einen ziemlich gleichmäßigen und entspannten Anstieg über etwa elf Kilometer von beiden Seiten. Es herrscht ziemlich wenig motorisierter Verkehr. Am Ende des Anstiegs, der sich mit um die vier bis sechs Prozent nach oben schlängelt, gibt es bei guter Wetterlage eine fulminante Aussicht bis in die Pyrenäen. Außerdem kann man sich im Restaurant mit Hotel ein Teilchen und/oder einen Cortado (die spanische Kaffee-Spezialität aus Espresso und einem Schlückchen Milchschaum schlechthin) gönnen.
Costa Brava
Die Costa Brava ist die nördlichste Mittelmeerküste Spaniens. Die ungefähr 220 Kilometer lange Küstenregion beginnt im Norden an der französischen Grenze und endet kurz vor den Toren Barcelonas. Sie ist zwar vor allem durch den Partytourismus einiger kleiner Küstenstädte wie Lloret de Mar bekannt, bietet aber eine unfassbar geniale Szenerie zum Radfahren. Ab und an können auch mal ein paar länger Anstiege dabei sein. Bei den sehr gut ausgebauten Küstenstraßen reihen sich kurze Anstiege mit schnellen Abfahrten aneinander. Dabei kann man die meiste Zeit einen einzigartigen Blick auf das Mittelmeer und die Küste genießen. Da in regelmäßigen Abständen kleine und große Ortschaften auftauchen, muss man sich auch um die Versorgung keine Gedanken machen.
Pantà de Susqueda
Der Pantà de Susqueda ist ein ziemlich großer Stausee westlich von Girona. Neben dem wunderschönen See selbst gibt es eine sehr eindrucksvolle Umgebung mit einer vielfältigen Flora und Fauna. Außerdem sorgt die gewaltige Staumauer des Sees immer wieder für Staunen. Von Girona aus sind es nur etwa 30 Kilometer in das Naturreservat. Zum Erkunden des Sees und der umliegenden Wege bietet sich besonders ein Gravelbike an. Aber auch mit dem Mountainbike oder einem Rennrad mit breiteren Reifen kommt man hier gut zurecht. Der See verläuft über einige Kilometer durch das grüne Umland, bis er sich zu mehreren Flüssen aufteilt und weiter landeinwärts fließt. Auf kleinen Pfaden kann man den See umrunden oder das hügelige Umland erkunden. Unterwegs gibt es immer ein paar Aussichts- und vereinzelt auch Versorgungspunkte wie Restaurants und kleine Imbissbuden.
Lago Banyolas
Wem der Pantà de Susqueda zu mächtig erscheint oder wer ein gutes Ausflugsziel zum Baden für die ganze Familie sucht, dem empfehlen wir den Lago Banolas. Er ist nur etwa 20 Kilometer in Richtung Norden von Girona entfernt. Der Weg zum See kann mit allen möglichen Fahrrädern bewältigt werden und bietet die Möglichkeit, einige Highlights auf der Strecke einzubauen. Es gibt einen relativ gut ausgebauten Rundweg um den See. Einige Badestellen sorgen zudem für die Möglichkeit, länger oder kürzer zu verweilen. Das Gleiche gilt für die Vielzahl an Cafés und Restaurants direkt am See oder im Ort selbst.
Mare de Deu del Mont
Ein absolutes Highlight in der Region und einer der ersten großen Anstiege in den katalanischen Pyrenäen: Mare de Deu del Mont. Dieser Berg hat es in sich. Nicht umsonst gilt er für viele professionelle Teams und Fahrer als fester Anlaufpunkt. Je nachdem, ab welchem Punkt genau man rechnet, dauert der Anstieg etwa 21 Kilometer mit einer durchschnittlichen Steigung von knapp sechs Prozent. Insgesamt ist es ein eher moderater Berg, der aber doch hier und da seine Schwierigkeiten mit 14 Prozent hat. Zwischendurch gibt es aber genug Anreize, auch mal ein Päuschen einzulegen und die Aussicht zu genießen. Am Ende wartet ein sehr altes klosterartiges Gebäude mit Restaurant und der Möglichkeit zu übernachten.
Girona ist ein Eldorado für Fahrradfahrer*innen. Nicht nur Profis wissen die Kombination aus gemäßigtem Klima, der sehr gut ausgebauten Radinfrastruktur und den vielen landschaftlichen Höhepunkten zu schätzen. Girona bietet mindestens genau so viele Anziehungspunkte wie Mallorca und ist zudem durch die geographische Nähe zu den Pyrenäen und der Costa Brava in Punkto Highlights sogar noch attraktiver. Da die Stadt auch über sehr viele Sehenswürdigkeiten verfügt, ist neben einem Trainingslager auch ein Familienurlaub problemlos möglich.