Algarve? Ist das nicht eine Pflanze? Obwohl die Agave der Algarve im Namen sehr ähnlich ist, haben sie sonst nicht sehr viel gemeinsam. Die Algarve bezeichnet die südlichste Region Portugals und erstreckt sich von der spanischen Grenze, bis zum süd-westlichen Ende Europas. Sie wird vor allem mit Hotel-Hochburgen und All-Inclusive-Touristen in Zusammenhang gebracht. Wir haben uns angesehen, ob die Algarve aber auch für Radfahrer etwas zu bieten hat und einen Besuch wert ist, wenn man wieder uneingeschränkt reisen kann.
Anreise
Die Algarve ist ein ziemlich dicht besiedeltes Gebiet mit einigen größeren Städten. Die Hauptstadt der Algarve ist Faro. Dort gibt es auch den größten Flughafen der Region. Der Flughafen ist zu jeder Jahreszeit von vielen Destinationen in Deutschland zu erreichen. Sowohl Billig-Airlines, als auch alle anderen Fluggesellschaften fliegen nach Faro. Die Flugdauer beträgt, je nach Startpunkt, drei bis vier Stunden.
Eine Anreise via Zug ist auch möglich, kostet aber deutlich mehr Zeit. In Verbindung mit einem Nachtzug schafft man es in ungefähr 24 Stunden nach Faro. Ähnlich lang ist auch die Anreise mit dem Auto. In beiden Fällen lassen sich aber Zwischenstopps, wie zum Beispiel in Girona, einbauen, um die durchquerten Gebiete ebenfalls kennenzulernen.
Klima und beste Reisezeit
Wer den dauerhaft wärmsten Landstrich in Europa sucht, der kommt an der Algarve nicht vorbei. Durch die Nähe zum Äquator und dem Einfluss maritimer Meeresluft ist das Klima an der Algarve das ganze Jahr über sehr erträglich. Im Winter kann man mit ein wenig Glück bei 15 Grad und Sonne Rad fahren. Auch die Nächte werden zumeist nicht kälter als sieben Grad. Mit durchschnittlich nur acht Regentagen fällt auch im Zeitraum November bis Februar vergleichsweise wenig Niederschlag. Trotz der direkten Lage am Atlantik können Niederschläge ziemlich zuverlässig vorhergesagt werden.
Ein Besuch der Algarve bietet sich theoretisch und mit Blick auf das Klima zu jeder Jahreszeit an. Im Frühling und Sommer ist konstant gutes Wetter nahezu ohne Niederschlag und Temperaturen bis 30 Grad. Allerdings sind über die Monate Mai bis September auch die meisten Touristen dort. Das führt nicht nur zu erhöhtem Verkehrsaufkommen, vollen Stränden und Schlangen an Supermarktkassen, es treibt auch die Preise für Unterkünfte stark nach oben. Deswegen empfehlen wir die klassische Off-Season als beste Reisezeit. Ein Saisonausklang im Oktober und November macht an der Algarve ebenso Sinn, wie ein Trainingslager am Anfang der Saison.
Unterbringung und Leben
Wie schon erwähnt variieren die Preise für Unterkünfte sehr stark im Jahresverlauf. Grundlegend bietet sich das etwas abgelegene Hinterland für einen ruhigen Aufenthalt an. Dort gibt es viele kleine Pensionen und Wohnungen zur Selbstversorgung. Ein paar Restaurants und Cafés lassen sich auch in den größeren Ortschaften finden. Wer allerdings mehr auf einen lebhaften Besuch aus ist, mit vielen Restaurants, Geschäften und Strandnähe, der ist in der direkten Küstenregion besser aufgehoben. Im gesamten Gebiet von der spanischen Grenze bis nach Lagos ist der Küstenstreifen – übertrieben formuliert – fast flächendeckend mit Hotels bebaut. Viele davon sind aber zwischen Ende Oktober und Anfang März geschlossen. Jene, die geöffnet haben, bieten dann allerdings unschlagbare Preise und eine entspannte Atmosphäre dank der wenigen Gäste.
Auch das kulturelle Leben hängt stark davon ab, ob man eher die Nähe zum Strand präferiert oder eher das Hinterland. In letzterem lassen sich wahnsinnig schöne Hügelketten, kleine Ortschaften und viel Folklore finden. Es spiegelt eher das wahre Portugal wider. Alte Männer sitzen vor Cafés und spielen Brettspiele, Kinder rennen umher, die Uhren ticken langsam. In direkter Nähe zum Strand hingegen tobt das Leben. Viele Geschäfte und Einkaufsmärkte gibt es neben sehr vielen Restaurants. Das hat natürlich den Vorteil, dass man eine große Auswahl hat. Aber nicht nur an Kulinarischem. Auch viele andere Freizeitaktivitäten finden eher am Strand statt, Surfen zum Beispiel.
Was allerdings in allen Regionen der Algarve gleichsam zelebriert wird, ist der Kaffeekonsum. Für 60 Cent bis einen Euro bekommt man an fast jeder Ecke einen sehr guten Espresso (Cafè). Die portugiesische Kaffeespezialität heißt „Galao“ und besteht aus einem doppelten Espresso mit zwei bis drei Teilen Milch. Serviert wird diese Spezialität im gesamten Land in den typischen Galao-Gläsern. Die kleine Pause der Portugiesen zur Mittagszeit (Siesta) wird oft genau für einen Galao, ein Glas Wein oder Bier genutzt. Zu dieser Zeit sind auch manche Geschäfte geschlossen. Besonders in den Touristenregionen aber gibt es keine Mittagspause. Eine weitere Spezialität in Portugal ist Fisch und speziell Stockfisch. Der „bacalhau“ wird auf unterschiedlichste Art und Weise zubereitet. Eine Redensart ist deswegen auch: Es gibt 365 Arten Stockfisch zuzubereiten, für jeden Tag im Jahr eine.
Hotspots für Biker
Portugal ist nicht unbedingt dafür bekannt, ein Radsport-verrücktes Land zu sein. Auch der Radtourismus ist nicht vergleichbar mit anderen Regionen Europas. Dementsprechend gibt es keine ausgewiesenen Hotspots für Radfahrer an der Algarve. Irgendwie macht aber genau dieser Umstand den Charme der Algarve aus. Während Mallorca im Frühling geradezu heimgesucht wird von wilden Fahrradhorden, hat man die Straßen an der Algarve für sich. Gleiches gilt für Cafés und Werkstätten. In den küstennahen Regionen gibt es ein umfangreiches Angebot an Mietrad-Läden. Diese findet man am einfachsten im Internet, oder beim Gespräch mit Einheimischen. Typische hippe „Cycling Coffee Shops“ sucht man aber vergebens. Dafür lässt sich an fast jeder Ecke ein hervorragender Espresso an jedem kleinen einheimischen Café trinken. Ohne Schikimicki, dafür mit portugiesischem Flair.
Touren und Highlights
Die Algarve ist nicht nur ein wunderschönes, aber leider zum Teil auch vollgebautes Gebiet, sie ist vor allem enorm divers. Es gibt Straßenzüge, die dem Ballermann auf Mallorca sehr nahe kommen und nur zehn Kilometer weiter nördlich fährt man auf idyllischen Schotterwegen durch eine grüne Prärie, wie man sie in Texas vermuten könnte (ohne jemals da gewesen zu sein). Deswegen macht es umso mehr Spaß diese bunte Vielfalt zu entdecken und deswegen sind Fahrradtouren an der Algarve auch so kurzweilig. Wir können generell wie immer Komoot empfehlen, um Touren vor Ort zu planen. Ein paar Touren und Highlights haben wir aber trotzdem rausgesucht.
Volta ao Algarve
Obwohl Portugal wie gesagt nicht das Land mit der größten Begeisterung für den Radsport ist, gibt es gleich zwei große Mehrtages-Radrennen. Die Portugal-Rundfahrt (Volta a Portugal) und die Volta ao Algarve. Letztere, die Algarve Rundfahrt, findet jedes Jahr im Februar statt und zieht mittlerweile einige Profiteams an. Wir haben uns die Rundfahrt in diesem Jahr mal genauer angeschaut und können sagen, dass man in den vier Tagen das Gefühl hat, die ganze Algarve sei im Radsport-Fieber. Das lag vermutlich an dem sehr stark besetzten Fahrerfeld und den vielen erstklassigen Teams. Mit dabei waren unter anderem Team Bora-hansgrohe, INEOS und Deceuninck-Quick-Step. Einer der absoluten Aufsteiger und derzeitiger Shootingstar aus dem zuletzt genannten Team Deceuninck-Quick-Step gewann die Volta ao Algarve nach einem spannenden Finale in diesem Jahr: Remco Evenepoel.
Algarve Granfondo
Im Rahmen der Algarve Rundfahrt findet auch das Algarve Granfondo statt. Eine Veranstaltung, die gefühlt alle Rennradfahrer Portugals und Süd-Spaniens anzieht. Wir haben uns unter die etwa 1.200 Starter gemischt und wollten wissen, ob das Algarve Granfondo eher eine gemütliche Ausfahrt über gut 120 Kilometer mit knapp 2.200 Höhenmetern ist, oder ein knallhartes Rennen.
Als wir zum Start rollten, war uns nicht klar, dass hier die besten Hobbysportler des Landes darauf warteten, sich zu messen. Der Zufall hatte uns in die erste Starterbox gestellt, wir waren also unter den ersten 100 Fahrradfahrern, hinter uns warteten noch 1.100 weitere auf den Startschuss. Die Stimmung an diesem sonnigen und für Februar sehr milden Morgen war phänomenal. Eine gute Mischung aus familienfreundlicher Kirmes mit sportlichem Anstrich.
Der Bürgermeister des Start- und Zielortes Lagao reckte pünktlich 13 Minuten später als geplant das Gewehr gen Himmel und ließ es knallen. Genau das galt auch für die 1.200 Hobbysportler. Bereits nach ungefähr 30 Sekunden war uns klar: Das wird hier keine entspannte Kaffee-Runde, sondern ein knallharter Wettstreit um, nun ja, um alles! Jedenfalls fuhren die nach vorn strömenden Rennradler so. Auf der uns entgegenkommenden Fahrspur fuhren dicht gedrängt die Autos. Das störte aber einige Verrückte nicht: Sie nutzten die wenigen Freiräume zwischen den Autos, um am großen Rennrad-Mob vorbei in die erste oder zweite Reihe zu fahren. Die ersten Kilometer glichen daher eher einem Alley-Cat (Fahrradkurier-Rennen) als einem geordneten Straßenradrennen. Für uns galt es jetzt sich einer großen schnellen Gruppe anzuschließen und diese um Himmels willen nicht zu verlieren, mindestens bis es in die Berge ging.
Nach einem kurzen Gespräch mit einem Handbiker aus Spanien, versuchten wir deswegen auch alles – wirklich alles – um die Lücke zur Gruppe vor uns wieder zu schließen. Nach dem daraus folgenden Zehn-Minuten-All-Out-Intervall gaben wir uns geschlagen. Nun hatten wir das ganze Schießpulver schon verschossen, vor uns lagen aber noch 100 Kilometer und noch schlimmer: 2.000 Höhenmeter. Deswegen ergaben wir uns und das Rennen auf. Für uns wurde es nun eine gemütliche, aber dennoch sehr kräftezehrende Ausfahrt. Nachdem wir das Laktat nach 30 Minuten aus den Beinen herausgefahren hatten, wummerte zwar immer noch der Kopf, aber die Route entschädigte dafür mit genialen Aus- und Einblicken, im portugiesischen Hinterland. Wir empfehlen daher unbedingt die Route des Algarve Granfondo mal abzufahren.
Die letzte Bratwurst vor Amerika
Auf jeder Must-Do-Liste beim Besuch des südlichen Portugals steht die süd-westlichste Spitze Europas: Der Leuchtturm am Kap von Sao Vicente. Und wenn man zu diesem glorreichen Punkt, quasi dem Ende Europas, mit dem Rad fährt, dann gibt das nochmal ein ganz besonderes Gefühl. Der in Deutschland berühmteste Imbiss ganz Portugals ist dort ebenfalls zu finden: Die letzte Bratwurst vor Amerika. Sowohl das Kap als auch die Imbiss-Bude sind absolute Pflichtpunkte beim Besuch der Algarve, auch wenn man am Ende nur eine Tüte Pommes isst.
Talsperre Arade
Genau das Gegenteil ist sozusagen die Talsperre Arade. Sie ist weit entfernt von irgendwelchen Touri-Hotspots, mitten in der Natur und man muss sich dort selbst versorgen. Die ruhig gelegene Talsperre kann zwar nicht komplett mit dem Bike umrundet werden, aber mit ein wenig Planung lässt sich zumindest eine Seite ganz abfahren. Das gesamte Gelände um Arade ist sehr ursprünglich und lädt zu vielen schönen Ausblicken auf den Stausee ein. Wer noch weiter ins Hinterland fährt, kann zudem noch ein paar Höhenmeter sammeln, außerdem ist eine zweite Talsperre (Odelouca) nicht weit weg und kann mit in die Tour eingebunden werden.
Aljezur
Es gibt sehr viele Aussteiger in Portugal, ein Großteil davon sammelt sich in Aljezur. Der Ort liegt zwar an der Westküste Portugals, gehört aber trotzdem noch zur Algarve. Durch die Einflüsse der verschiedenen Kulturen und Lebensstile vom norwegischen Hippie bis zum belgischen Rentner-Paar ergibt sich in dem Ort eine ganz eigene Atmosphäre. Ein gesunder Mix aus dem angesagten Berliner Bezirk Friedrichshain und einem typischen schnuckeligen portugiesischen Kleinstädtchen, wäre eine treffende Umschreibung. Auf jeden Fall umgibt Aljezur eine besondere Aura, die man sehen und spüren kann. Wer mal genug vom Stockfisch hat, findet in Aljezur ein veganes, stylisches Restaurant, neben einer natürlichen, unaufgeregten Altstadt.
Portugal und die Algarve wirken auf den ersten Blick nicht gerade wie ein Radfahr-Eldorado. Das milde Klima, auch im Winter, in Verbindung mit den vielen schönen Landstrichen machen es aber zu einem absoluten Geheimtipp. Besonders, wer nicht zum zehnten Mal sein Trainingslager auf Mallorca stattfinden lassen möchte, findet hier unausgetretene Pfade. Die Vielfältigkeit der Unterbringungsmöglichkeiten, die abwechslungsreiche Flora und Fauna sowie die Gastfreundlichkeit der Portugiesen sorgten dafür, dass wir uns richtig wohlgefühlt haben und auf jeden Fall nicht das letzte Mal mit dem Rad an der Algarve waren.