Ein Rennradlenker ist einfach nur ein Rennradlenker – oder etwa nicht? Im Prinzip stimmt das, aber wie so oft steckt der Teufel im Detail. Die verschiedenen Spezifikationen namens Reach, Drop, Rise, Backsweep und Flare wirken sich deutlich auf Fahrgefühl, Komfort und Sitzposition aus. Welcher Faktor jetzt eigentlich was genau ist, wie sich dieser konkret auswirkt und welcher Lenker am besten für dich passt, erfährst du hier.
Allgemein
In den frühen Zeiten des Rennrads musstest du dir kaum Gedanken darum machen, welcher Lenker am besten passt. Es gab eine klassische Lenkerform und die war mehr oder weniger einheitlich. Ein Grund dafür war, dass es in den 1930er-Jahren, als die Union Cycliste International (UCI) genauer definierte, wie ein Rennrad auszusehen hat, sehr wenige Anbieter gab. Sowohl Rennräder als auch Teile waren außerdem zu dieser Zeit ziemlich teuer und nicht immer ganz so einfach zu bekommen wie heute. Damals waren Lenker exklusiv und dementsprechend teuer. Ebenfalls wichtig für die damalige Formgebung: Alle Lenker mussten durch den Vorbau „gefädelt“ werden, da die Klemmung sich nicht komplett öffnen ließ. Erst in den letzten Jahrzehnten fand eine vielfältige Differenzierung des Bügellenkers beziehungsweise „Drop Bars“ statt. Diese Entwicklung ging einher mit der Herausbildung der einzelnen Rennradgenres wie Aero, Endurance, Gravel und so weiter. Hier findest du eine Übersicht über die bunte Vielfalt bei Rennradlenkern.
Heute finden wir eine große Vielfalt an Rennradlenkern. Ihnen allen gemeinsam ist die charakteristische Form der nach unten geschwungenen Lenkstange. Hinzu kommt, dass bei den meisten Modellen die Klemmstelle, an welcher der Lenker mit dem Vorbau verbunden ist, die höchste (und dickste) Stelle des Lenkers darstellt. Etabliert haben sich zudem Lenker aus Aluminium und Carbon. Wie bei Fahrradrahmen gilt auch hier: Alu ist nicht gleich Alu und Carbon ist nicht gleich Carbon. Verschiedene Legierungen beziehungsweise Materialarten haben einen wesentlichen Einfluss auf Komfort und Handling. Der große Vorteil von Drop Bars gegenüber allen anderen Lenkerformen ist allerdings für alle Modelle gleich: Die Vielfältigkeit der möglichen Griffpositionen erlaubt es, die Handstellung während der Fahrt immer wieder zu ändern und damit Druckstellen zu vermeiden.
Lenkermaße
Es gibt eine Vielzahl an Kenngrößen, mit denen man die verschiedenen Lenker unterscheiden kann:
Lenkerbreite: In den meisten Fällen werden Breiten zwischen 400 und 460 mm (in der Regel gemessen jeweils von Mitte zu Mitte des Rohres in der Mitte des Drops) gefahren. Es gibt aber je nach Einsatzgebiet noch breitere Lenker für mehr Kontrolle abseits der Straße oder schmalere Lenker für eine verbesserte Aerodynamik. Einen Ausgangspunkt für die passende Breite eines Lenkers kannst du durch die Abmessung zwischen deinen Schultergelenken bestimmen.
Backsweep: Ist der Oberlenker nicht gerade, sondern biegt sich auf beiden Seiten der Vorbauklemmung leicht nach hinten (Richtung Sattel), hat der Lenker einen Backsweep. Bei Rennradlenkern sind diese meist – wenn überhaupt vorhanden – nur sehr gering ausgeprägt und ebenfalls durch Winkelangaben spezifiziert. Dieses Feature ist für manche Handgelenke angenehmer.
Reach: Der Reach des Lenkers bezeichnet den Abstand von der Mitte der Vorbauklemmung bis zur Mitte des Rohrs an dem Punkt im Drop, an dem es am weitesten entfernt ist. Zusätzlich kann die Vorbiegung selbst auch extra noch durch eine Winkelangabe, die beschreibt, weit der Lenker bis zur Befestigung der Bremsschalthebel abfällt, genauer bestimmt werden.
Drop: Dieses Maß beschreibt den Abstand vom Ober- zum Unterlenker. Anders gesagt gibt der Drop die Höhe des gesamten Lenkers an. Hier wird ebenfalls von der Mitte des einen zur Mitte des anderen Rohres gemessen. Je größer der Drop, umso tiefer kommt der Oberkörper beim Fahren im Unterlenker. Deine Sitzposition sollte dir erlauben, über mehrere Kilometer ohne Probleme in dieser Position fahren zu können.
Rise: Manche Lenker gehen von der Klemmstelle am Vorbau nicht waagerecht ab, sondern haben einen kleinen Versatz nach oben. Dann spricht man vom Rise. Damit lässt sich die Sitzposition insgesamt noch etwas aufrechter und damit komfortabler gestalten.
Flare: Ist der Unterlenker breiter ausgestellt als der Oberlenker, so spricht man vom Flare. Dieser kann nur wenige Millimeter oder sogar ein paar Zentimeter betragen. Insbesondere bei Gravel-Bikes und beim Bikepacking findet man solche Lenker, teils mit recht extremem Flare, die mehr Kontrolle auf ruppigen Passagen bieten.
Handauflagefläche: Viele Rennradlenker sind einfach rund. Andere hingegen haben eine breitere Auflagefläche auf dem Oberlenker. Damit kann man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen eine bessere Aerodynamik, zum anderen mehr Komfort durch größere Druckverteilung der Hände auf dem Lenker. Die Formen variieren in großem Maße: Aerodynamisch optimierte Oberlenker sind eher flach, während ergonomische Lenker einen höheren und kürzeren ovalen Querschnitt benutzen.
Lenkerformen
Insgesamt werden drei typische Lenkerformen unterschieden: die klassische, kompakte und anatomische Form. Dabei geht es allein um die Form des Teils des Lenkers, der nach unten gebogen ist. Hauptsächlich hat die Lenkerform Einfluss auf das Greifgefühl bei der Fahrt im Unterlenker. Aber auch auf die Position der Bremsschalthebel üben die verschiedenen Lenkerformen einen Effekt aus. Durch den Winkel und die Länge der nach unten verlaufenden Rohre, an denen die Bremsschalthebel montiert sind, wird die Position dieser maßgeblich mitbestimmt.
Klassisch geformte Lenker sind komplett rund und weisen einen langen Reach sowie tiefen Drop auf. Diese Kombination ergibt eine aggressive, weil gestreckte und niedrige Sitzposition, die perfekt ist, wenn du Rennen fährst und eine flexible Wirbelsäule hast. Kompaktere Lenkerformen entschärfen diese Position durch kürzeren Reach (kleiner als 80 mm) und flacheren Drop (kleiner als 130 mm), oft kombiniert mit einem Radius, der zum Unterlenker hin flacher wird. Anatomisch geformte Lenker schließlich sind nicht rund, sondern bieten in Unterlenkerposition ein Stück Rohr, das sich im Idealfall perfekt an deine Hand anpasst und so Ermüdungserscheinungen vorbeugen kann.
Lenkerposition
Zuletzt muss bei der Lenker-Thematik nicht nur auf die Lenkerform und alle anderen Maße verwiesen werden, sondern auch auf die Installation beziehungsweise Ausrichtung des Lenkers. Die Positionierung des Lenkers sowie der Bremsschalthebel ist grundsätzlich sehr individuell. Die Handgelenke sollten aber niemals ein- oder abgeknickt sein. Neben dem eigenen Gefühl und eventuellen Beschwerden, dienen das Einsatzgebiet des Fahrrads, sowie die am meisten benutzte Handstellung beim Bremsen als beste Parameter, um den Lenker und die Bremsschalthebel einzustellen. Als Ausgangsposition ist eine neutrale Stellung von Lenker und Bremshebel zu empfehlen. Dabei hilft die Klemmmarkierung am Lenker: Anfänglich kann es eine gute Idee sein, diese einfach mittig ausrichten. Für den Verlauf zu den Bremsschalthebeln ist auf einen geraden Übergang vom Lenker zu achten.
So in etwa sieht eine neutrale Lenkerposition aus Zeigen die Bremsschalthebel eher nach unten, rutscht man mehr nach vorn und in sie hinein. Die Hände sind nach vorn abfallend, abgeknickt. Auf Dauer kann das zu Problemen führen Neigt der Lenker mehr nach oben, sind die Hände in die andere Position eingeknickt, was ebenfalls Schmerzen nach sich ziehen kann
Fühlst du dich in dieser Position unwohl, gilt es Stück für Stück herauszufinden, in welche Richtung welches Bauteil verschoben werden muss. Bremst du ausschließlich mit den Händen auf dem Oberlenker, kann es von Vorteil sein, die Bremsschalthebel ein wenig nach oben zu schieben, um immer gut ranzukommen. Für das Bremsen im Unterlenker gilt das Entgegengesetzte. In jedem Fall sollten aber beide Bremsschalthebel in der Höhe und dem Winkel gleich eingestellt sein. Dafür bietet es sich an, das Vorderrad auszubauen und mit einem Maßband den Abstand vom Boden zum Bremsgriff zu ermitteln. Als Nächstes kann dieser Abstand dann auf der anderen Seite übertragen werden. Den richtigen Winkel der Bremsschalthebel lotest du am besten per Augenmaß aus, traditionell stehen sie senkrecht zum Boden.
Fazit
Rennradlenker sind nicht alle gleich und unterscheiden sich hinsichtlich vieler verschiedener Aspekte. Was bei vielen anderen Bauteilen rund um das Rennrad so ist, gilt auch hier: Versuch macht kluch. Den richtigen Lenker für sich zu finden, kann einige Zeit dauern. Bei Beschwerden in Nacken, Schultern, Händen und Handgelenken reicht es manchmal aber auch einfach aus, eine Anpassung der verschiedenen Winkel des Lenkers oder der Bremsschalthebel vorzunehmen. Für verschiedene Spezialräder (Aero, Endurance, Gravel, …) bietet es sich an, die dafür vorgesehenen Lenker zu fahren, da diese genau auf die Bedürfnisse des jeweiligen Einsatzgebiets zugeschnitten sind. Meist ist es wie beim Sattel auch: Man merkt ziemlich schnell, ob der Deckel auf den Topf passt – oder eben nicht.