Mit oder ohne, das ist die Frage der Stunde im Rennradsport! Während die eine Fraktion den Schlauch komplett verbannt hat und ihn höchstens noch als „Heimbringer“ dabei hat, so spricht die andere Seite vom „Tubeless-Massaker“ und der riesengroßen Sauerei, die das Fahren ohne Schlauch verursacht. Sicher ist: Tubeless setzt sich auch im Profi-Rennsport immer mehr durch. Ähnlich wie bei der Scheibenbremse kommen nach dem Siegeszug im Mountainbike-Spektrum auch immer mehr Roadies auf den Geschmack von Dichtmilch. Gleichzeitig kommen aber auch immer neue superleichte Schläuche wie beispielsweise der Schwalbe Aerothan auf den Markt, die ganz ähnliche Eigenschaften wie ein Tubeless-Setup versprechen. Neben den objektiven Gründen gibt es auch immer die subjektiven, das eine oder andere System zu benutzen. Frank Bültge (Organisator von „Thüringen Erfahren“ und Ultracyclist) und Nora Turner alias Unicorn Cycling schreiben über ihre Erfahrungen und Entscheidungen.
Pro Tubeless von Frank Bültge
Es gibt eine Menge Fakten im Vergleich, das ewige Für und Wider und obendrauf das persönliche Befinden und der Status, was darf oder sollte ich tun und was muss ich darstellen. Werte oder Einstellungen, die in unserer Fahrradwelt eine viel zu große Rolle spielen. Dabei kann es hier und da einfach sein, das größte Problem mit dem kleinsten Einsatz zu eliminieren: den Schlauch. Ich kenne die Gespräche beim Feierabendausritt, bei der Langdistanz oder beim Bier. Es gibt unterschiedliche Meinungen und Ansichten, aber es gibt auch Erfahrungen und die folgende Erfahrung hat mich zu einem Fan der Tubeless-Technologie gemacht. Hier ist meine kleine Geschichte und vielleicht bringt sie auch dich dazu, eine neue Sicht auf die Tubeless-Dinge zu bekommen und eigenständig abzuwägen, was du wann fahren willst. Denn am Ende ist die Freude am Fahren der gemeinsame Nenner, und auf diesen sollten wir uns konzentrieren.
Die Transcimbrica brachte mich erstmals für mehrere Rad-Kilometer nach Dänemark. Keine Veranstaltung der hohen Preisgelder oder der extremen Berge, aber ein gefürchteter Straßenbelag, gewürzt mit Wind und Nässe. Im Vorfeld schlägt man gern Ratschläge in den Wind, aber hier lohnt es sich zuzuhören.
Der Asphalt in Dänemark wird vorrangig mit Gestein aus dem eigenen Land hergestellt, eigene Zutaten. Darin wird vorrangig Feuerstein benutzt, der auch in kleiner Körnung sehr scharfe Schneiden hat. Dies macht ihn zum gefürchteten Reifentöter, zum Schlitzer der Landstraße. Teile der Transcimbrica finden auch auf unbefestigten Wegen statt, die aber im Verhältnis zum Asphalt keine Herausforderung für die Reifen darstellen. Gefahren wird gern ein Schwalbe-Marathon, schwergewichtig und robust kommt er daher, solide und langsam. Keine Option also und schon gar nicht für den Mix aus Gelände und Straße mit dem Ziel, schnell und leicht unterwegs zu sein.
Erstmalig setzte ich auf einen schnellen Reifen aus dem Allroad-Umfeld, mit der Option, ihn ohne Schlauch zu fahren – tubeless montiert. Die Fakten und Diskussionen, diverse Tests und Meinungen beschäftigten mich im Vorfeld lange und intensiv. Irgendwann entschied ich mich, erstmals ohne Schlauch unterwegs zu sein. Meine Reise an den nördlichsten Punkt von Dänemark sollte schlauchlos stattfinden. Eingangs hatte ich einige Probleme, lernte das richtige Aufziehen des Reifens, der straff an der Felge liegt. Ich lernte das richtige Einsetzen eines Ventils und das Prüfen des Felgenbandes im Vorfeld. Das Einfüllen der Milch war dann das Feierabendbier für das Laufrad und es konnte losgehen.
Auf vielen Kilometern hat mich der Reifen begleitet. Schon auf den ersten Kilometern habe ich Luft gelassen und wollte mich ärgern. Warum von Bewährtem abweichen? Aber dies ging nach ein wenig mehr vom weißen Schluck für den Reifen vorbei. Ab dann war der Kopf beim Fahren und bei den Menschen, mit denen ich mich austauschen konnte. Ich überholte so einige Laufräder mit Schlauch, die von ihren Besitzern geflickt oder ausgetauscht wurden. Ich stand am Rand, wenn andere den Schlauch wiederholt reparierten und feuerte an, hielt die Motivation. Der Race-Chat lief heiß mit Nachrichten über die vielen Platten, ergänzen konnte ich sie nicht. Eine wunderbare Reise ging ohne den Verlust von Luft zu Ende, ganz im Gegensatz zu Kraft und Ausdauer.
Zu Hause stand bald der Wechsel der Reifen an, da die Oberfläche enorm mitgenommen aussah. Das Profil war kaum mehr nutzbar für meine heimischen Fahrten ins Gelände. So bekam ich die Laufräder nach vielen Kilometern mal wieder in die Hand, holte den Reifen runter, entferne die Milch und bekam meine letzte Ölung – beide Reifen waren mit vielen Löchern versehen. Gegen das Licht gehalten kamen sie einem Sieb gleich, viele feine Schnitte, die säuberlich verklebt waren. Der Reifen ohne Schlauch tat, wofür er da war und meine Zweifel an Tubeless-Systemen waren dahin. Ein Hoch auf Entwicklung und Menschenverstand.
Alles neben meinen Erfahrungen sind Fakten, die dir dabei helfen können, eine objektive Bewertung zu treffen. Aber am Ende muss das Bauchgefühl einfach stimmen. Und bei mir stimmt es ohne Schlauch. Gute Fahrt.
Über Frank Bültge
Frank Bültge lebt und fährt in Stadtroda im Osten Thüringens. Er wurde im Februar 1974 geboren und arbeitet als selbständiger Berater für Web-Entwicklungen. Seine Leidenschaft fürs Radfahren hat er als Alternative zum Bergsport entdeckt, um im Alltag spontaner draußen unterwegs sein zu können. Frank nimmt am liebsten an Langstreckenveranstaltungen wie London-Edinburgh-London oder der Transcimbrica teil. Seit 2018 organisiert er die Self-Supported Bike Challenge „Thüringen Erfahren“.
Pro Schlauch von Nora Turner aka Unicorn Cycling
Wie es der Zufall so will, werde ich diesen Beitrag bestimmt bereuen, sobald ich ihn geschrieben habe, denn ich habe quasi nie einen Platten. Und immer, wenn man so etwas sagt, bekommt man kurz darauf dann doch einen. Aber halb so wild, denn ein Schlauch ist flott gewechselt, ob zu Hause oder in der tiefsten Pampa! Mir gibt das ein Gefühl der Sicherheit und des Selbstbewusstseins, denn ich bin unabhängig.
Wenn jedoch auf einmal Dichtmilch wild durch die Gegend spritzt, statt das Loch zu füllen, Ventile verkleben oder einem gefühlt die Haut von den Händen hängt, beim Versuch, die eng sitzenden TL-Ready-Reifen auf die Felgen aufzuziehen, dann fühlt man sich gar nicht mehr so sicher und selbstbewusst. Und das sind keine erfundenen Anekdoten, sondern wiederholte Beobachtungen.
Ich verstehe den Wunsch, bestehende Systeme weiter zu verbessern, denke aber nicht, dass tubeless auf dem Rennrad schon die notwendigen Verbesserungen für Otto oder Anna NormalverbraucherIn bringt. Denn die Kombi Reifen und Schlauch fährt sich wunderbar, ist langlebig und unkompliziert – wenn man in entsprechende Qualität investiert! Und selbst mit dem Topmodell eines deutschen Herstellers, der mit sehr guten Werten beim Fahrkomfort und der Pannensicherheit herausragt, fährt man noch immer günstiger, als wenn man sich einen Druckluft-Kompressor, Dichtmilch, Felgenband oder neue TL-ready-Felgen zulegt. Mal ganz abgesehen von der verschwendeten Lebenszeit.
Klar, man kann in einen Tubeless-Reifen auch unterwegs einen Schlauch einbauen, sollte man einen Platten haben. Die Dinger sitzen aber, wie oben bereits gesagt, wie Arsch auf Eimer auf der Felge und sind gerade für jene, die nicht regelmäßig in Fitnesscentern anzutreffen sind, wirklich schwierig zu wechseln. Mal ganz abgesehen von der Sauerei! Außerdem treibt es ja das Tubeless-System ad absurdum, wenn man dann erst recht immer einen Schlauch mit sich führen muss.
Ich hatte das Glück, dass ich zumindest auf dem Gravelbike beides testen durfte: Schlauch und Tubeless – und der Unterschied im Fahrgefühl und Grip ist zwar spürbar, allerdings für normale FahrerInnen minimal. Sollte man also am Stundenrekord auf dem Rennrad feilen oder sich mit dem Gravelbike regelmäßig Singletrails runterdonnern, ist das vielleicht anders. In dem Fall muss man womöglich zwei Mal über die Vorteile bei Rollwiderstand (Rennrad) oder dem niedrigeren Reifendruck und damit mehr Grip, den Tubeless-Reifen ermöglichen, nachdenken. Alle, die einfach eine gute Zeit auf dem Rennrad oder Gravelbike verbringen will, sind aber nach meiner Ansicht nach wie vor gut mit einem klassischen Schlauch und einem verlässlichen Reifen beraten.
Meine Meinung daher: Never change a running system – und das schreibt eine, die sonst immer den „neuen heißen Scheiß“ hat.
Über Nora Turner
Nora ist 27 Jahre alt und lebt in Wien. Ihre Liebe zum Fahrradfahren hat die Deutsche 2017 über ihren Partner entdeckt. Mit einem Augenzwinkern sagt sie oft, dass sich kein anderer Sport so gut eignen würde, die lokalen Bierspezialitäten des Landes kennenzulernen. Neben ihrer Vollzeit-Tätigkeit im digitalen Marketing schreibt sie auf ihrem Blog unicorncycling.de und hat mit über 50.000 Follower*innen einen überaus erfolgreichen Kanal auf Instagram.