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Ein Radjournal von Brügelmann

Radtourenfahrt impuls Erfurt

Fahrradkultur erklärt: Die Radtourenfahrt oder RTF

Fahrradkultur erklärt: Die Radtourenfahrt oder RTF

Brügelmann Blog 13. Februar 2020 7 min.

Zusammen mit anderen Radsportler*innen eine beschilderte Strecke fahren und dabei soviel Spaß wie möglich haben, dazu noch Versorgung am Streckenrand und das bei entspannter Atmosphäre – all das bietet eine „Radtourenfahrt“, auch bekannt als RTF.

Geschichte

Um dem historischen Kontext von Radtourenfahrten in Deutschland näher zu kommen, haben wir beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR) nachgefragt. Bruno Nettesheim arbeitet im Referat Breitensport und hat uns genau erklärt, wann die ersten RTFs ausgetragen wurden, was der Hintergrund war und wie sich die verschiedenen Veranstaltungen organisieren: Ende der 1970er Jahre wurde in Nordrhein-Westfalen die Idee geboren, Radsportler*innen ohne Vereinsbindung näher an die verschiedenen Radsport-Vereine heranzuführen. Aus der „Trimm-Dich“-Bewegung heraus sollte versucht werden, den Vereinssport für eine große Masse an Radsportler*innen zu öffnen und diese an die Vereine und deren Vorteile zu binden. Ein Riesenplus ist es eben, dass man immer die Möglichkeit hat, mit anderen Rad zu fahren. So bestand die Zielgruppe vor allem aus all jenen Fahrer*innen, die gern mit anderen fahren, aber am Renngeschehen nicht teilhaben wollten.

Missouri History Museum
Schon immer und überall fahren Menschen am liebsten gemeinsam Rad. Bild: Missouri History Museum

So etablierte sich Stück für Stück bis in die 1980er Jahre hinein die RTF . Zu dieser Zeit wurde ebenfalls der Titel von ehemals Rad-Touristik-Fahrt in Rad-Touren-Fahrt geändert. Das genaue Reglement, also wie eine Radtourenfahrt organisiert ist und welche Eckpfeiler jede Veranstaltung haben sollte, wurde ebenfalls zu dieser Zeit festgeschrieben. Wichtige Festlegungen waren beispielsweise sozialverträgliche Preise, damit alle Gesellschaftsschichten eingebunden werden können. Aber auch verschiedene Streckenlängen gehörten gleich zu Beginn zum Konzept, um keine Leistungsklassen zu bevorteilen oder auszuschließen. Die konkrete Umsetzung der Regeln findet bis heute in einzelnen Landesverbänden statt. Daher können sich einige Details je nach Bundesland unterscheiden.

BDR Flyer RTF
So wirbt der Bund Deutscher Radfahrer für Sport im Verein und Radtourenfahrten

Charakteristika

Das wichtigste Merkmal einer RTF ist, dass es weder eine Zeitnahme noch Platzierungen gibt. Damit ist eine RTF zumindest auf dem Papier kein Rennen. Jede*r kann an dieser Art der Radsportveranstaltung teilnehmen. Zum allergrößten Teil treffen sich bei diesen Events Rennradfahrer*innen, aber seit ein paar Jahren stehen auch mehr und mehr E-Bikes an der Startlinie. Die Räder selbst sind so bunt wie das Fahrerfeld. Neben Alu-, Carbon- und Stahlrädern sieht man vereinzelt auch Titanrenner. Das Feld an sich ist ebenfalls sehr heterogen. Neben gut durchtrainierten Athlet*innen im Alter von Anfang 20 nehmen auch ältere Genussfahrer*innen an den Veranstaltungen teil. Das Leistungsniveau steigt allerdings in der Regel mit der Streckenlänge an.

Radtourenfahrt RTF Rennrad
Radtourenfahrten finden im öffentlichen Straßenverkehr statt

Bei jeder RTF werden unterschiedliche Streckenlängen angeboten. Zumeist liegen diese zwischen 40 und 170 Kilometern. Manchmal werden im Rahmen von RTF-Veranstaltungen auch Radmarathons durchgeführt, die dann über 200 Kilometer lang sind. Die Veranstaltungen selbst finden im öffentlichen Straßenverkehr statt, es werden also keine Straßen oder Wege gesperrt und man teilt sich – wie sonst auch – die Straße mit allen anderen Verkehrsteilnehmer*innen. Die Strecken werden immer durch Beschilderung gekennzeichnet und sozusagen markiert. Allerdings stellen auch viele Veranstalter ihre Touren als GPS-Track zum Download zur Verfügung. Für eine RTF sollte man etwa mit 5 bis 25 Euro als Unkostenbeitrag rechnen.

Radtourenfahrt Verpflegungsstation
Eine Oase am Straßenrand

Eine wichtige Komponente bei RTFs ist neben dem Genuss der Fahrt ohne kompetitiven Charakter auch der kulinarische Genussfaktor. Denn während man bei klassischen Rennen nicht anhält, um in Ruhe etwas zu essen, ergibt sich aus dem Angebot der Pausenstätten eben genau diese Möglichkeit. Dabei handelt es sich zumeist um kurzfristig aufgebaute Versorgungsstationen, die dann verschiedene Leckereien anbieten. Lokal kann das ganz verschiedene Ausprägungen haben. Von der Bockwurst über Obst und Gemüse bis zum Nutellabrot kann alles dabei sein. Auch die eigenen Flüssigkeitsreserven sowie die am Rad kannst du an den Rastplätzen auffüllen. Natürlich kommt man so auch am einfachsten ins Gespräch mit den anderen Fahrer*innen, wenn das vorher auf dem Rad noch nicht geklappt hat. Der soziale Austausch ist ein ebenso wichtiger Grundgedanke bei RTFs wie das Fahren selbst.

Radtourenfahrt Verpflegungsstation
Kuchen ist immer eine gute Idee, das gilt besonders bei RTFs

RTF vom SC im.puls Erfurt

In der Theorie ist eine RTF also eine feine Sache: Fahrradfahren, essen und quatschen. Wir haben uns das Ganze mal in der Praxis angesehen und sind beim SC im.puls aus Erfurt mitgefahren. Es wurden insgesamt sechs Touren, von der Bambini-Tour, bis zum Radmarathon angeboten. Wir hatten uns dabei für die 113 Kilometer lange Runde entschieden, nach dem Radmarathon (203 km) und der 158-Kilometer-Runde die drittlängste Strecke. Immerhin gibt es um Erfurt auch ein paar ordentliche Anstiege mit einigen Höhenmetern. Außerdem war der Start um 9 Uhr für uns am besten geeignet. Start und Ziel der Veranstaltung war die Leichtathletikhalle mitten in Erfurt. An diesem Tag feierte die RTF ihren zehnten Jahrestag. Insgesamt standen etwa 250 Radler*innen für die sechs unterschiedlichen Strecken am Start.

Radtourenfahrt RTF Startnummer
Zwar ist eine RTF kein Rennen, eine Startnummer bekommt jeder Teilnehmer aber trotzdem

Los ging es noch relativ entspannt. Die ersten Kurven aus Erfurt heraus nahmen alle noch gemeinsam wahr, die Laune war bei allen Beteiligten merklich bestens. Aber schon auf dem langen Anstieg aus Erfurt hinaus zog sich das Feld der 50 Fahrer*innen auf meiner gewählten Streckenlänge weit auseinander. Daran war schon zu erkennen: Die einen haben Bock, ordentlich reinzutreten, die anderen wollen lieber eine entspannte Tour machen. So hatten sich nach etwa zehn Kilometern zwei Gruppen gebildet, wir waren durch Zufall und aus Lust am Quälen in der vordersten. Es war mit Sicherheit nicht die schnellste Gruppe aller Strecken, aber die Jungs und Mädels waren wirklich sportlich unterwegs. Nach jeder Kurve wurde kurz verschärft, an jedem Anstieg durchgedrückt. Irgendwann sehnten wir uns bei aller Freude über die Geschwindigkeit allerdings den ersten Versorgungspunkt herbei. Der kam nach knapp 50 Kilometern und bot uns das Wichtigste zu diesem Zeitpunkt: Zucker. Während wir noch genüsslich in die Süßigkeiten bissen, fuhren die ersten so schnell weiter, dass wir nicht ganz hinterher kamen.

Radtourenfahrt RTF Rennrad
Zu zweit nahmen wir die Verfolgung der ersten Gruppe auf

So machten wir uns kurze Zeit später zu zweit auf die Jagd nach den Ersten. Nach zehn Kilometern und heftigem Hecheln mussten wir uns allerdings eingestehen: Die sind weg. Sogleich fuhren wir den Einsatz der Beinkraft ein wenig herunter. Allerdings, wie das eben so ist, wenn zwei Männer den Berg hochfahren, will keiner der letzte sein und so waren wir oben an der zweiten Verpflegungsstation doch schon ziemlich kaputt. Die Laune war prächtig, bis wir nach einem kurzen Snack wieder auf den Rädern saßen und merkten, dass der Wind sich gedreht hatte. Im Nachhinein betrachtet waren es vermutlich mindestens Böen der Windstärke 7 (Bäume schwanken, Widerstand beim Gehen). Da uns das offene Feld keinen Schutz bot, waren alle Körner schnell verraucht. Plötzlich allerdings erspähten wir vor uns eine kleine Gruppe von etwa sieben Radler*innen.

Radtourenfahrt RTF Rennrad
Gegenwind und Berge, eine wirklich anstrengende Kombination ohne Gruppe

Mit allerletzter Kraft kämpften wir uns in einer Harakiri-Aktion an die Gruppe heran. Eigentlich war es nun an der Zeit, sich bis zur nächsten Verpflegungsstelle auszuruhen, im Windschatten der anderen. Leider wechselte die Gruppe aber derart schnell durch, dass wir bereits nach fünf Kilometern wieder im Wind waren.

Zwischendurch, am letzten heftigen Anstieg, überholte uns noch eine Gruppe. Die waren aber so schnell, dass wir nicht einen Moment überlegen mussten, ob wir da dran bleiben könnten. Wir versuchten die letzten großen Hügel wegzudrücken, aber viel war nicht mehr übrig. Das galt nicht für den letzten Versorgungspunkt. Da hielten wir aber nur für drei schnelle Cola. Den Rest der Strecke trieben wir uns gegenseitig voran, bis wir endlich nur noch den Berg nach Erfurt runter rollten. Dann entdeckten wir noch einen einzelnen Radler, den wir unbedingt noch einholen mussten. Nach 113 Kilometern waren unsere Beine leer, die Kaffeetassen voll und unser Gemüt glich dem Wetter: sonnig.

Radtourenfahrt RTF BDR
Am Ende gab es eine Urkunde und eine kleine Portion Honig, neben dem Gefühl, eine Supertour gemacht zu haben

Für einen kleinen Obolus erhalten alle Teilnehmer*innen bei einer RTF viel mehr als nur beschilderte Strecken und ein paar Snacks: Das grandiose Gefühl, ein Teil der lokalen Radfahrgemeinde zu sein. Eine Radtourenfahrt ist eine wunderbare Gelegenheit, andere Sportler*innen und neue Strecken kennenzulernen. Durch das vielfältige Angebot an Distanzen ist außerdem für jede*n etwas dabei. Ob du dann sportlich oder entspannt an die Sache herangehst, bleibt dir selbst überlassen. Alle aktuellen RTF-Veranstaltungen findest du hier.