Vor allem im Winter suchen sie uns häufiger heim als uns lieb ist – Erkältungen mit Halsschmerzen, Husten und laufender Nase. Niemand von uns ist gerne krank und verzichtet auf das geliebte Radfahren. Wenn jedoch auch noch eine geplante Radtour, das lang ersehnte Training oder ein Wettkampf anstehen, kann einem eine solche Erkältung zusätzlich die Laune verderben. Aber ist es wirklich so, dass man krank nicht aufs Rad steigen sollte, oder ist das eher eine Binsenweisheit? Wir sind der Sache zusammen mit Sport-Coach Steffen Tepel auf den Grund gegangen.
Hallo Steffen, erzähl doch bitte mal kurz, wer du bist, was du machst und wo du herkommst.
Ich komme aus Winterberg im Sauerland und bin dementsprechend auf Ski aufgewachsen. Ich hatte schon immer eine besondere Beziehung zum Ausdauersport und weil es bei uns in Winterberg auch Sprungschanzen gibt, bin ich Nordischer Kombinierer geworden. Obwohl ich immer ein sehr guter Langläufer war, war ich ein eher schlechter Skispringer. Ich musste mich also immer durchbeißen und viel für den Erfolg arbeiten. Kurz gefasst bin ich nach ein paar Jahren international für den Deutschen Skiverband gestartet und wurde 2005 Juniorenweltmeister im Team sowie 2007 deutscher Vizemeister. Nach meiner aktiven Zeit bin ich auf die Trainerseite gewechselt und hatte hier ziemlich schnell die Ehre, das Team der Schweizer Nordischen Kombination als Trainer zu den olympischen Spielen 2014 zu führen. Im Zuge der Vorbereitung bin ich auf mein heutiges Hauptarbeitsfeld gestoßen: Neuro Athletic Training.
Dabei geht es um eine neurozentrierte Sichtweise auf Training und Performance. Wir aktivieren und trainieren sozusagen unteraktive neuronale Areale im Gehirn, wodurch der Körper im Endeffekt mehr Leistungsfähigkeit zulässt. Auch bei akuten Verletzungen und in der Post-Rehaphase hat die neurozentrierte Sichtweise auf den Körper enorme Vorteile gegenüber den klassischen Therapien. Heute bin ich als Trainer für Leistungssportler vieler Sportarten im Einsatz. Vom Wintersport über Fußball und Radfahren bin ich immer wieder verblüfft, wie Athlet*innen den unterschiedlichen Anforderungen ihrer Disziplin Rechnung tragen. So komme ich zwangsläufig ständig mit dem Thema in Verbindung, welches mich in die Sportwelt geführt hat: Ausdauerleistung! Da Ausdauersportler*innen jedoch besonders empfindlich für Erkältungen sind und ich selber mit diesen Problemen in meiner aktiven Zeit zu kämpfen hatte, habe ich in den letzten Jahren nach den Mechanismen einer Erkältung und praktikablen Lösungen gesucht.
Dann erzähl doch mal – darf ich mit einer Erkältung Rad fahren oder nicht?
So einfach und pauschal lässt sich diese Frage leider nicht beantworten. Auch meine Athlet*innen fragen mich dies in regelmäßigen Abständen und wollen eine klare Antwort haben, allerdings muss man sich einfach jeden Fall individuell anschauen.
Und was rätst du ihnen dann?
Das Problem ist bei diesem Thema leider, dass Athlet*innen mit der Methode „No pain, no gain“ erzogen wurden.
Grundsätzlich sage ich immer, dass sie ihre Trainingsintensität drosseln sollen, sobald sie erste Anzeichen spüren. Meistens ist das aber nicht in ihrem Interesse, denn vor allem kurz vor wichtigen Wettkämpfen möchte niemand in Trainingsrückstand geraten und lieber auf die Zähne beißen und durchziehen. Das Problem ist bei diesem Thema leider, dass Athlet*innen mit der Methode „No pain, no gain“ erzogen wurden. Gerade hier liegen aber enorme gesundheitliche Risiken. Da die Belastungsintensität bei einer Erkältung eine große Rolle spielt, empfehle ich dann eins: Auf den eigenen Körper hören. Gerade Top-Athlet*innen beherrschen diese Fähigkeit oft sehr gut. Man nennt das somatische Intelligenz.
Inwieweit meldet sich dann der Körper? Welche Signale gibt er?
Glücklicherweise ist unser Körper ein sehr gut organisiertes System, welches relativ klare Signale sendet, wenn es notwendig ist. Körper und Gehirn steuern unseren Körper völlig automatisiert und sobald ein Infekt zu schlimm ist, wird der motorische Kortex im Gehirn, der sozusagen der Chef für unseren Bewegungsapparat ist, gehemmt und man bekommt ohnehin eine Zwangspause vom eigenen Körper verordnet. Der Körper fühlt sich dann einfach schlapp und müde an und man sollte hier nicht auf Biegen und Brechen trainieren. Wenn die Erkältung jedoch nicht so schlimm ist, dass die Leistungsfähigkeit des eigenen Körpers ohnehin schon auf ein Minimum reduziert ist, dann dürfen meine Sportler*innen in der Regel trainieren. Letzten Endes muss aber jeder für sich selbst entscheiden, wie fit der Körper wirklich ist. Es macht definitiv keinen Sinn, sich hier etwas vorzulügen und zu behaupten, dass man fit genug ist, obwohl dies keineswegs der Fall ist.
Es macht definitiv keinen Sinn, sich hier etwas vorzulügen und zu behaupten, dass man fit genug ist, obwohl dies keineswegs der Fall ist.
Und wenn ich doch trainiere, obwohl ich es besser gelassen hätte?
Die Gefahr einer Herzmuskelentzündung ist bei jeder körperlichen Anstrengung während eines Infektes gegeben. Eine alte Weisheit beschreibt es allerdings ganz gut: Bei Fieber, Abgeschlagenheit und/oder schleimigem Infekt sollte nicht trainiert werden. Man sollte also genau auf den Körper achten, auf die Signale hören, die er gibt und sich nicht vom Trainingsplan oder den Trainingspartnern zu etwas überreden lassen, was schadet. Das Körpergefühl sollte immer den größten Einfluss auf eure Entscheidung haben. Weitere auskunftsfähige Parameter sind beispielsweise die Herzfrequenz oder die Herzratenvariabilität (HRV). Wenn diese auffällig werden, ziehen die meisten Athlet*innen aber meist schon von selbst die Handbremse.
Was empfiehlst du zur Vorbeugung?
Präventiv kann man eine Menge tun, um gar nicht erst in diese Situation zu geraten. Über die „normalen“ Empfehlungen wie Ernährung, Hygiene etc. hinaus, hat die Wissenschaft in den letzten Jahren eine Menge Wahrheiten in diesem Bereich gefunden. Unser Immunsystem wird vom sogenannten Vagusnerv gesteuert. Dieser ist für die „Rest & Digest“ Funktionen bekannt. Das heißt, er steuert einen Großteil der Reparatur-, Verdauungs- und Immunvorgänge im Körper. Aus Neurosicht sehen wir bei konkreten Vagusnerv-Tests oft, dass bei Athleten die Vagusfunktion und damit auch das sogenannte parasympathische Nervensystem unteraktiv ist. Dieses wird gehemmt durch intensiven oder chronischen Stress. Das Tolle am Nervensystem ist, dass man gezielt einzelne Bereiche trainieren kann und so über die Vagusaktivierung das Nervensystem wieder ins Gleichgewicht bringen und sein eigenes Immunsystem stärken kann. Dazu gibt es eine Reihe effektiver Methoden, die so simpel sind, dass man sie tagtäglich in den Alltag einbauen kann. Beispielsweise das Valsalva-Manöver, auch Bauch-Pressatmung genannt. Hier wird über die Atmung der Bauchinnendruck erhöht. Man schließt dazu Nase und Mund und versucht dabei zehn Sekunden lang auszuatmen. Die Atem- und die Bauchmuskulatur erzeugen Druck und aktivieren im Endeffekt den Vagusnerv. So wird dieser stimuliert und euer Immunsystem ein Stück weit aktiver.
Es gibt tausende Mittel, Methoden und Reize, die auch noch bei den ersten Symptomen helfen können.
Eine weitere Methode ist es, intensiv zu gurgeln. Die Rachenmuskeln werden vom Vagusnerv innerviert und gurgeln oder lautes Summen (deshalb ist übrigens im Yoga das „OMMM“ so entspannend) ist deshalb sozusagen wie Joggen für den Vagusnerv. Begleitend kann man in den ersten Tagen einer Erkältung auch Zink zu sich nehmen, um das Immunsystem zu unterstützen. Es gibt tausende Mittel, Methoden und Reize, die auch noch bei den ersten Symptomen helfen können. Sie wirken manchmal wie Zauber, wenn sie richtig eingesetzt werden. Mir ist es vor allem wichtig, dass Athlet*innen aktiv für ihre Gesundheit oder Erkältung sorgen, statt immer nur Mittelchen einzuwerfen. Meiner Erfahrung nach wirken aktive Anti-Erkältungsmaßnahmen deutlich besser als „nur“ passives Tablettenlutschen.
Danke für diesen spannenden Einblick und weiterhin viel Erfolg!
Ich wünsche euch allen eine erkältungsfreie Wintersaison!