Search
Generic filters
Exact matches only

Ein Radjournal von Brügelmann

MTB-Jacke Kragen

Radbekleidung: Synthetik oder Merino?

Radbekleidung: Synthetik oder Merino?

(Fast) Zwei Sättel, zwei Meinungen

Brügelmann Blog 20. Januar 2022 6 min.

Wolle als Material für Radsportbekleidung? Klingt erstmal kratzig und warm. Trotzdem wird Merinowolle immer beliebter, vor allem für Baselayer, Trikots und Socken. Das liegt auch an der Weiterentwicklung der Wolle und der Kombination mit anderen Stoffen. Aber auch das gute alte Lycra und alle anderen Arten von synthetischen Materialien haben sich über die Jahre weiterentwickelt und bieten heute bestes Feuchtigkeitsmanagement, einen coolen Look und ein seidiges Gefühl auf der Haut. Wir haben uns gefragt, was die Vor- und Nachteile des jeweiligen Materials sind und dazu mit Langstrecken- und Bikepacking-Experten Axel Brenner gesprochen.

Pro Synthetik

Wir haben lange gesucht und viele potenzielle Kandidat*innen gefragt, ob sie nicht ein Loblied auf die wunderbaren und hochfunktionellen synthetischen Stoffe zur Herstellung von Sportbekleidung singen möchten. Das Ergebnis war leider entweder keine, oder eine negative Rückmeldung. Eigentlich komisch, denn bevor der große Merino-Trend losging, haben doch wirklich alle auf diese Materialien zurückgegriffen. Schon die Namen der Stoffe könnten doch funktioneller kaum klingen: Polyester, Elasthan, Polyamid und Polyurethan. Uns fallen eigentlich kaum Gründe ein, Radsportbekleidung aus diesen Materialien nicht zu verwenden.

Zuallererst einmal sind Kunstfasern natürlich wesentlich einfacher und ethisch vertretbarer herzustellen. Kein Tier muss dafür auf der Weide stehen und gefüttert werden. Sie werden in extra dafür gebauten Produktionshallen für uns hergestellt, ohne dass auch nur ein „Nutztier“ dafür geschoren wird und im Anschluss frieren muss. Besonders, wenn es um das Reizwort Mulesing (die Entfernung von Haut im Bereich des Schwanzes) geht, fallen einem kaum Argumente für die Verwendung von Merino ein.

Endura Pro SL Primaloft II Weste
Bekleidung mit synthetischer Isolierung hat gegenüber Wolle oder Daunen nicht nur ethische Vorteile

Kunstfasern wie Polyester haben sich im Laufe der Zeit wahnsinnig weiterentwickelt. Mittlerweile gibt es ganze Labore, die sich mit nichts anderem als dem optimalen Materialmix beschäftigen. So werden die Kleidungsstücke jedes Jahr immer noch widerstandsfähiger, wasserdichter und atmungsaktiver. Durch perfekt abgestimmte Lieferketten, die Weitergabe von Technologien sowie das Auslaufen von Patenten wird Radbekleidung aus synthetischen Materialien immer günstiger und damit auch besser.

Auch das Gefühl, welches uns diese Funktionsbekleidung vermittelt, hat sich über die Jahre maßgeblich gewandelt. Die ersten Trikots, die wir trugen, waren kratzige sowie äußerst raue Trikots und Hosen. Diese haben dann nicht nur unsere Haut, sondern auch unser Gemüt auf langen Touren gereizt. Heute ist das kaum noch denkbar. Jerseys, Bib-Shorts und sogar Socken fühlen sich an wie eine zweite Haut. Sie sind nämlich glatt, hautfreundlich und manchmal sogar für Allergiker*innen geeignet.

Möglichst windschlüpfrig, komfortabel und atmungsaktiv soll es sein? Dann muss es Synthetik sein.

Darüber hinaus können die Kunstfasern je nach Einsatzzweck verschieden angeordnet und so für unterschiedliche Einsatzzwecke genutzt werden. Anders gesagt: Trikots, die speziell für den Hochsommer und mehr als 30 Grad Celsius konzipiert werden, funktionieren deutlich anders als die synthetischen Fasern für die Winterbekleidung. Sie lassen Wärme entweder richtig gut nach außen entweichen (ideal im Sommer) oder wirken wärmend (ideal bei kühlen Temperaturen), je nachdem, wie wir es brauchen.

Der große Feind bei jeder Radfahrt zu jeder Jahreszeit ist natürlich die Feuchtigkeit. Allein durch unsere natürliche Ausdünstung benötigen wir spezielle Funktionsstoffe. Alle, die schon mal im Stadtverkehr oder weil nichts anderes verfügbar war, auf ein Baumwoll-Shirt zurückgegriffen haben, können das bestätigen. Klitschnass liegt das Oberteil am Körper und führt dazu, dass wir auskühlen, uns unwohl fühlen und natürlich dann auch schnell anfangen, unangenehm zu riechen. Wolle kann eben einfach nicht wasserabweisend und gleichzeitig atmungsaktiv sein, egal wie sie bearbeitet wird. Daher gibt es auch keine Regenbekleidung aus Wolle.

Gravelbike Pfütze
Wenn es richtig nass und dreckig wird, führt an Synthetik kein Weg vorbei

Auf der Pro-Seite für synthetische Materialien bei Radbekleidung stehen, wie du siehst, einige Punkte. Noch gar nicht angesprochen haben wir die vielfältigen Designs, die sich mit Kunstfasern umsetzen lassen. Oder dass es immer mehr Hersteller gibt, welche recycelte Materialien verwenden. Aber obwohl es einige Vorteile von Synthetik-Stoffen gibt, mögen sie viele dennoch nicht so sehr. Aus unterschiedlichen Gründen gibt es Fahrer*innen, die lieber auf natürliche Materialien – besonders gern auf Merino – setzen. So wie Axel Brenner:

Er ist wohl das, was man einen echten Abenteurer nennen kann. Axel ist am liebsten draußen in der Natur unterwegs und genießt dort jede Minute bei jedem Wetter. Er wurde 1993 in Vevey (Schweiz, am Genfersee) geboren und startet seine Abenteuer aktuell aus Zürich. Der gelernte Zimmermann hat schon einige bemerkenswerte Events in absolut bemerkenswerten Zeiten gefinisht. Dazu zählen das Hope 1000 und das Silk Road Mountain Race. Auf seiner Seite berichtet er von seinen Abenteuern.

Pro Merino von Axel Brenner

Wenn man sich für ein Bikepacking-Abenteuer vorbereitet, verbringt man viel Zeit damit, die richtige Bekleidung auszuwählen. Wird es kalt, heiß, nass oder trocken? Am besten ist man also für alles gewappnet. Da der Platz in meinen Taschen aber beschränkt ist und ich nur das Minimum mitnehme, setzte ich auf hohe Funktionalität. Ich bekleide mich in Schichten. Wobei ich als erste Schicht immer Merinowolle trage, ganz egal in welcher Klimazone ich mich bewege. Das Gefühl der Merinowolle auf der Haut ist sehr angenehm und weich, sie kratzt nicht. Mit Synthetik habe ich nach langen Touren wunde Brustwarzen, mit Merino passiert das nicht.

Axel Brenner Silk Road Mountain Race
In den Weiten Kirgisistans mit dramatischen Temperaturunterschieden hat Axel voll auf Merino gesetzt

Wenig Gepäck bedeutet auch, dasselbe Shirt mehrere Tage am Stück zu tragen. Während des Silk Road Mountain Race, einem Ultra-Endurance-Bikepacking-Rennen durch ganz Kirgisistan, haben sich meine Merino-Oberteile bestens bewährt. Die Temperaturen lagen zwischen minus 3 und 38 Grad. Da spielt die Kleidung eine große Rolle. Merino wirkt temperaturregulierend und ist daher ideal. Sie hält bei Kälte warm und kühlt bei Hitze. Ich habe mein Merino-T-Shirt für volle neun Tage getragen. Dank der antibakteriellen Eigenschaft der Wolle riecht Merino nicht. Während des Rennens habe ich mein T-Shirt dreimal im Fluss gewaschen. Danach war es wieder angenehm zu tragen und der Geruch neutral. So wurde ich im Ziel immer noch mit offenen Armen empfangen.

Man kann fast alles aus Merinowolle herstellen

An kalten Tagen kombiniere ich die erste Schicht mit einer zweiten, dickeren Merinolage. Das hält mich schön warm. Wenn ich beim Anstieg ins Schwitzen komme, fühlt sich Merino nicht nass an und die Wärmeleistung bleibt erhalten. Auch an heißen Tagen finde ich Merino sehr viel angenehmer auf der Haut als Synthetik. Sie klebt nicht auf der schwitzigen Haut.

Axel Brenner Bikepacking
Auch auf Island blieb Axel mit Merinowolle immer auf Arbeitstemperatur

Merinowolle ist ein natürliches Material, das biologisch abbaubar ist und sich nicht elektrostatisch auflädt, was ein Riesenvorteil ist. Ich trage meine Merinobekleidung schon mehrere Jahre und wenn man sie gut pflegt, ist sie so langlebig wie Synthetik. Mit Merino bin ich für jedes weitere Abenteuer bereit.

Jacke wie Hose können wir im Fall von Merino vs. Synthetik bei Radsportbekleidung ausschließen. Die Materialien sind dafür einfach zu verschieden. Klar ist: Jedes Material hat seine klaren Vor- und Nachteile und die eine Wahrheit gibt es in dieser Frage nicht. Darum kombinieren wir auch am liebsten und wählen je nach Einsatzzweck den passenden Stoff aus. Denn somit können wir alle Vorteile gleichermaßen nutzen.