Für die einen ist es der Inbegriff von Effizienz – für andere kommt es dem Ende der Freude am Radfahren gleich: Der Powermeter wird im Radsport kontrovers diskutiert. Wir haben zwei gefragt, deren Meinung zum Leistungsmesser kaum unterschiedlicher sein könnte: Triathlet und Coach Florian Bögge sowie Triathletin und Abenteurerin Wiebke Lühmann berichten uns ihre Sicht der Dinge zum Thema Leistungsmessung am Fahrrad.
Florian Bögge: Mit Leistungsmesser das Beste rausholen
Alle, die ihren Drahtesel etwas ambitionierter bewegen, kommen irgendwann an den Punkt, sich zu fragen: Wie werde ich schneller? Klar kann man sich eingestehen, dass man auf dem Rad sitzt, um das Leben zu genießen. Aber sind wir ehrlich: Unser Ego will schneller als Freund XYZ sein. Wir enden also irgendwann bei einem Trainingsplan oder Coach. Wie steuert der das Training? Sicherlich nicht nach den Sternzeichen. Also wird die Pulsuhr und ein Wattmesser gekauft. Profiequipment macht mich zum Pro, richtig? Ja klar Werner: Feuer frei!
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Am Ende des Tages verbringen wir nur eine begrenzte Zeit auf diesem schönen Planeten. Also warum nicht das Beste draus machen und die Zeit sinnvoll nutzen? Mit einem Wattmesser können wir die Trainingszeit hocheffizient nutzen. Wir wissen genau, in welcher Trainingszone wir uns befinden. Und wir können genauer arbeiten als mit den bisherigen Trainingszonen „bisschen aus der Puste“ und „komplett im Beatmungszelt“. Wir wissen also jetzt, ob wir sinnvoll die Bierwampe abarbeiten oder unser Ego wieder überhandnimmt und wir einfach nur sinnlos rumballern. Metriken wie der Cardiac Drift, also die Abweichung der Herzfrequenz bei gleichbleibender Power über den Verlauf der Trainingseinheit, können uns zeigen, wie gut unsere Ausdauer ist und sogar, ob wir genug trinken und essen. Und dann sind da die Powerzahlen! Werner: „Meine Dauerleistungsschwelle liegt bei 375 Watt!“ Boom – das klingt doch nach was. Freund Egon guckt ganz verdattert und schämt sich für seine 240 Watt. Kein Wort wird hier über die 40 Kilogramm verloren, die der gute Werner mehr auf die Straße bringt. Watt pro Kilogramm ist der Schlüssel zum Erfolg. Mehr Bums pro Kilogramm. Hätte Egon das Kapitel schon in seiner Powerbibel gelesen, wäre er erhobenen Hauptes nach Hause geradelt.
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Training mit Wattmessung mit Training ohne Wattmessung zu vergleichen ist einfach unfair. Ich vergleiche doch auch nicht den neusten Ferrari mit einem Trabi. Die letzten Jahrzehnte haben uns gezeigt, dass mit gut gesteuertem Training, also Training mit Watt, sogar kleine Jungs, die kaum ein Rad geradeaus steuern können, die Tour de France gewinnen können. Ich weiß nicht, was mehr schreit: „Kauf dir ein Powermeter!“, als jeder einzelne Profi, der mit so einem Teil rumfährt. Natürlich müssen wir nicht die ganze Zeit auf das Ding starren oder ein Sportstudium absolvieren, um ein Powermeter sinnvoll zu nutzen. Heuert einfach einen Coach an, der euch die Arbeit abnimmt. Mal im Ernst, es gibt so viele Pläne und Infos da draußen, dass man superschnell in die Welt der Leistungsmessung findet. Und sobald man die ersten Vo2Max- und Sweetspot-Einheiten absolviert hat und merkt, wie viel schneller man auf einmal ist, will man nicht mehr ohne trainieren. „Achtung Suchtgefahr!“ sollte eigentlich auf der Packung stehen.
Über Florian Bögge
Florian Bögge stammt aus Freiburg im Breisgau und wurde 1991 dort geboren. Nachdem er anfangs vor allem die Leidenschaft für den Radsport verfolgte und dabei unter anderem das Race across America im Team als Fünftplatzierter absolvierte, begann er sich ab dem Jahr 2012 auf den Triathlon-Sport zu konzentrieren. Seine Reise zum und als professioneller Triathlet zeigt er auf seinem YouTube-Channel. Außerdem hat er mittlerweile seine eigene Coaching-Agentur Kona Endurance gegründet. Er lebt und arbeitet auf Hawaii.
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Wiebke Lühmann: Natur bewundern statt auf Zahlen starren
Beim Radfahren geht es darum, Spaß an der Bewegung zu haben, persönliche Ziele zu erreichen und zu lernen, auf den eigenen Körper zu hören. Je nach Vorhaben kann Wattmessung am Fahrrad mehr oder weniger sinnvoll sein. Für mich persönlich ist das Messen der übertragenen Kraft auf das Pedal beim Bikepacking zum Beispiel unangebracht. Ich bewundere lieber die Natur, als auf meine Zahlen zu schauen. Mir geht es darum, meinen eigenen Rhythmus zu finden und ich mache das Tempo sowie die Leistung von meiner Tagesform abhängig. Auch das Terrain, also der Untergrund, spielen natürlich dabei eine große Rolle. Ich achte darauf, mich reichhaltig und ausgewogen zu verpflegen und Pausen einzulegen, wenn das für mich notwendig erscheint. Damit möchte ich dauerhaft Kraft in den Beinen und gute Laune, so lang wie eben möglich behalten. Das Schöne am Gravelbiken und Bikepacken ist, dass das Erlebnis vor dem Ergebnis steht. Und das ist eine Mentalität, die mir sehr gut gefällt.
Auch im Triathlon können wir etwas von dieser Mentalität lernen. Klar geht es im Training darum, die richtigen Reize zu setzen, um dann im Wettkampf ordentlich „abzuliefern“. Aber das Gefühl für das richtige Wettkampftempo und die persönlichen Trainingszonen kann man auch ohne Wattmessung erlernen. Gleichzeitig sollte das Radfahren auch im Training und in der Wettkampfvorbereitung Spaß machen. Wenn es keinen Spaß mehr macht, weil nur noch die Wattwerte zählen, läuft etwas schief.
Foto: Björn Reschabek / @bjoern.reschabek
Das Material hat sowieso schon einen enorm hohen Preis und Stellenwert, was eine große Abschreckung und Hürde für Einsteiger*innen darstellen kann. Deswegen ist es an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass man auch ohne Powermeter enorm viel Trainings- und Wettkampferfolg feiern kann. Durch Grundlagenkilometer, regelmäßiges Intervall- und Techniktraining, Trittfrequenzschulung, ausreichend Regeneration sowie reichhaltige Ernährung lässt sich damit viel Potenzial ausschöpfen. Auch mit dem besten Powermeter der Welt müssen diese Trainingsgrundlagen eingehalten werden, um persönliche Erfolge und Trainingsziele zu erreichen.
Zusammengefasst gibt es viele Aspekte und Faktoren, die unser Training beeinflussen. Ob Wattmessung seinen Preis wert ist und sich durch ihn schneller die erhoffte Leistungssteigerung einstellt, wage ich zu bezweifeln. Insgesamt sollte bei einer sportlichen Leidenschaft die Freude an Bewegung stets im Vordergrund stehen.
Über Wiebke Lühmann
Wiebke Lühmann begann im Jahr, 2016 intensiver Sport zu treiben und finishte im selben Jahr ihren ersten Halbmarathon. Übers Laufen kam sie zum Triathlon und damit auch zum Radfahren. Aktuell lebt sie in Konstanz und absolviert ein Master-Studium im Fach Wirtschaftspädagogik. Wiebke ist im Triathlonteam des ASC Konstanz und steht bei Wettkämpfen der Baden-Württemberg-Liga am Start. Gleichzeitig liebt sie das Abenteuer und macht sich immer wieder zu großen und kleinen Radreisen auf. Auf ihrem Instagram-Account kannst du sie auf all ihren Abenteuern begleiten. Außerdem setzt sich Wiebke im „The Woman All Ride“ Kollektiv für mehr Frauen, Inter-, Non-Binäre-, Trans- und A-Gender Menschen im Fahrraduniversum ein.
Foto: Luisa Werner / @luisasophiewer