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Ein Radjournal von Brügelmann

Orbea Oiz TR – die Königin der Trails?

Orbea Oiz TR – die Königin der Trails?

Ein Vollblut-Racebike mit Extra.

Brügelmann Blog 9. Dezember 2020 9 min.

Der Monte Oiz im Baskenland  liegt nicht weit vom Hauptquartier von Orbea und war wegen seiner gefürchtet steilen Anstiege der Namensgeber für das Racefully Oiz, das unzählige Cross-Country-Rennsiege und sogar Weltmeisterschaftstitel auf dem Buckel hat. Es ist die perfekte Wahl für all jene, die – wie auf den Monte Oiz – hoch hinauswollen. Für das Modelljahr 2021 bekam das Erfolgsmodell und die „TR“-Version mit mehr Federweg, die dem aktuellen Down-Country-Trend gerecht wird, ein ordentliches Update verpasst. Wir haben uns genau diese Modellvariante geschnappt und herausgefunden, was das 2021er Oiz drauf hat und ob es bergab genau so viel Spaß bereitet wie beim Uphill.

Bergauf ist das Oiz eine Waffe – das ist ja soweit nichts Neues. Doch wie steht es um den Abfahrtsspaß des TR-Modells?

Kurz und knapp gesagt handelt es sich beim Oiz um ein superleichtes Racefully mit 100 Millimetern beziehungsweise der Option auf 120 Millimeter Federweg vorn und hinten. Der neue OMX Monocoquerahmen aus Carbon ist mit 1740 Gramm inklusive Dämpfer sensationell leicht und optisch eine echte Sahneschnitte. In acht verschiedenen Größen erhältlich dürfte für jede Körpergröße das passende Oiz zu finden sein. Dasselbe gilt für den Preis: Zwischen rund 2.300 Euro (UVP) für das Aluminiummodell Oiz H30 bis zu schwindelerregenden Regionen weit über 8.000 Euro (UVP) für das Modell Oiz M LTD ist alles drin. Unser Testbike bewegt sich im gehobenen Mittelfeld: Das Oiz M Pro TR schlägt mit rund 5.300 Euro zu Buche. Orbea hat also wirklich für jeden Fahrstil, jeden Geldbeutel und jede Körpergröße das passende Bike parat.

Technik-Facts

Grundlage unseres Testbikes ist der neue OMX-Rahmen, der ein wahres Wunder vollbringt: Dank neuer Carbonfasern verliert er – im Vergleich zum Vorgänger – enorme 250 Gramm, was bei einem ohnehin schon superleichten Rahmen Welten sind. Doch auch davon abgesehen ist der Rahmen ein echtes Schmuckstück. Der Eyecatcher schlechthin ist der Umlenkhebel, der sogenannte „Fiberlink“. Er entsteht in einem speziellen Produktionsverfahren mit injizierten Langfasern, was ihn superleicht, supersteif und vor allem supersexy macht. Ein weiteres technisches Schmankerl fällt erst bei genauerem Hinsehen auf. Kein Wunder, denn das Besondere ist, was gar nicht da ist, nämlich das vierte Lager des Hinterbaus, das sich normalerweise kurz vor den Ausfallenden befindet. Orbea verwendet stattdessen speziell designte Carbonfasern, die sich beim Einfedern verformen und die das Lager überflüssig machen. Die Basken nennen diese Technik „UFO“ – wie von einem anderen Stern! Tatsächlich soll sie viele Vorteile haben: Sie macht das Bike wartungsärmer, leichter und steifer. Und keine Sorge: Richtig dimensioniert, kann  man Carbon viele Millionen Mal derart belasten. Noch mehr Details zum neuen Rahmen kannst du übrigens hier nachlesen.

Unser Testbike: Orbea „Oiz M Pro TR“

Ein Schmankerl: Der „Fiberlink“ – Formel 1 Technik am Fahrrad

Fehlt da nicht etwas? Nein! Anstelle eines Lagers flexen am Oiz die Hinterbaustreben.

Die Zugverlegung am Oiz ist bis ins letzte Detail durchdacht und – wann immer möglich – im Inneren des Rahmens

Das war es noch lange nicht – dieser Rahmen ist bis ins letzte Detail durchdacht. Dezente Flatmount-Scheibenbremsaufnahmen integrieren die Bremse perfekt in den Hinterbau. Die interne Zugführung sorgt weiterhin für aufgeräumte Optik. Die hintere Kettenstrebe ist mit einem integrierten Schlagschutz versehen und damit die Kette gar nicht erst so sehr in Wallungen geraten kann, wird sie von einer eigens entwickelten „Mini-Kettenführung“ in Zaum gehalten. Übrigens ist der Rahmen nur für Einfach-Antriebe ausgelegt – eine Umwerferaufnahme fehlt gänzlich. Im vorderen Rahmendreieck ist ab Größe Medium genügend Platz für zwei (kleine) Trinkflaschen.

Hübscher kann man Leitungen nicht im Hinterbau verschwinden lassen

Im Test hat uns eine gereicht. Wer auf große Tour gehen möchte, bekommt im Hauptrahmen des Oiz aber auch zwei Trinkflaschen unter

Der Zusatz „TR“ im Namen unseres Testbikes verrät es schon: Es handelt sich um die aufgemotzte Trail-Variante, die das reinrassige Rennfully zur verspielten Down-Country-Rakete macht: Dafür sorgen 120 Millimeter Federweg vorn wie hinten und eine entspanntere Geometrie, die durch flachere Lenk-/Sitzwinkel (68°/74° statt 69°/75°) und einen kürzeren Reach (425 Millimeter) gekennzeichnet ist. Generell besitzen alle Oiz Modelle des neuen Jahrgangs um fünf Millimeter gekürzte Kettenstreben, die nun 430 Millimeter  kurz sind. Um die Federung unterwegs optimal den Gegebenheiten anpassen zu können, sind sowohl Gabel als auch Dämpfer mit der eigens entwickelten Squidlock-Fernsteuerung in drei Stufen vom Lenker aus abstimmbar: Offen für den Downhill, etwas straffer für flotte Trails und quasi blockiert für sprintmäßige Uphills oder Passagen auf Asphalt. Besonders erwähnenswert in diesem Zusammenhang: Der Verstellmechanismus am Dämpfer ist vollkommen im Rahmen versteckt, was ihn ideal schützt und für eine extrem aufgeräumte Optik sorgt, die man von vergleichbaren Systemen nicht gewohnt ist.

„Squidlock“ heißt die Lenkerfernbedienung aus dem Hause Orbea, die das Federungstuning zum Kinderspiel macht. Während der Fahrt lassen sich per Hebelklick Gabel und Dämpfer in drei Positionen abstimmen.

Kein umständliches Gefummel mehr: Federgabel und Dämpfer werden von ein und demselben Hebel gleichzeitig angesteuert

Über das Oiz gibt es viel zu erzählen! Und das hört längst nicht auf, wenn wir uns dem Rahmen und der Federung abwenden. Wir versuchen, uns kurz zu fassen – es ist aber nicht einfach. Allein schon die neue Bike-Front: An ihr kommen im neuen Jahrgang hauseigene Parts der OC-Serie zum Einsatz. Dazu gehört der 760 Millimeter breite Carbonlenker, vor allem aber der neue Vorbau, der optisch perfekt integriert ist und dem Bike mit einer Neigung von -8 Grad eine sportliche Note verleiht. Am Lenker findet neben Brems- und Schalthebeln und der Squidlock-Fernbedienung noch ein weiterer Hebel Platz: Die Fernbedienung der Dropper-Post, die am TR-Modell verbaut ist. Sie entstammt ebenfalls dem OC-Sortiment, bietet 125 Millimeter Hub und ihre Leitung verschwindet, wie alle anderen auch, sauber im Rahmen.

Wirklich gelungen: Der neue OC Vorbau integriert sich optisch perfekt ins Gesamtbild des neuen Oiz.

Das muss man erstmal hinbekommen: Trotz der vielen Hebel am Lenker wirkt das Cockpit des Oiz ausgesprochen aufgeräumt.

In Sachen Antrieb verlässt sich Orbea an diesem Modell auf Shimano: Ein Mix aus XT- und XTR-Komponenten sorgt für seidenweiche Schaltvorgänge und deckt trotz Einfach-Antrieb einen großen Bereich ab. Ein Kettenblatt mit 34 Zähnen vorn und die riesige 12-fach-Kassette mit einer 10-51er Abstufung sorgen für eine enorm große Bandbreite. Witziges optisches Detail: Das große Ritzel der Kassette ragt weit über die 160-Millimeter-Bremsscheibe hinaus, die hinten zum Einsatz kommt. Verkehrte Welt. Apropos: Vorn ist eine 180-Millimeter-Bremsscheibe verbaut, sodass die Shimano XT-Bremsanlage ausreichend Power haben sollte. In Sachen Laufräder verlässt sich Orbea an diesem Modell auf bewährte Technik aus dem Hause DT Swiss: Ein XR-1650 Laufradsatz in 29 Zoll bringt, in Kombination mit 2,35 Zoll breiten Maxxis „Rekon Race“ Reifen, die Pedalpower auf den Trail. Und genau dorthin befördern wir nun das ganze Bike!

Diese Mini-Kettenführung hilft dabei, die Kette in Zaum zu halten, die ohnehin schon sehr ruhig läuft

Kein Grip-Wunder, aber grundsätzlich an so einem Bike hervorragend aufgehoben: der leichte Cross-Country Racereifen „Rekon Race“ im Semislick-Style

Irgendwie witzig anzusehen: Die 12-fach Kassette ist deutlich größer, als die hintere Bremsscheibe

Kräftige XT-Bremsen von Shimano sorgen für effiziente Bremsmanöver

Auf den Trails

Das Oiz TR ist eines dieser Wow-Bikes! Draufsetzen und wohlfühlen? Aber sowas von! Gleich auf den ersten Metern fragt man sich: Das soll ein Cross-Country Bike sein? Klar, es ist sensationell leicht – das war es dann aber schon. Man sitzt zwar sportlich, aber dennoch komfortabel auf dem Bike und kann sich über eine straffe, aber total sensible Federung freuen. Dieses Bike geht richtig ab! Sobald man in die Pedale tritt, will es nach vorn. Ob auf der Straße in Richtung Trail, auf schnellen Feldwegen oder auf verwinkelten Singletrails: Man hat immer das Gefühl, dass jede Pedalumdrehung effizient in Vortrieb umgewandelt wird. Wenn das noch nicht reicht, kann man das Fahrwerk ganz einfach vom Lenker aus feintunen – der Squidlock-Hebel macht es möglich. Dessen Bedienung ist so einfach und praktisch, dass man diese Funktion gern und oft nutzt. Ein Klick und schon sind Gabel und Dämpfer als perfektes Team auf die Gegebenheiten abgestimmt: Auf der Straße stellt sich so nahezu Hardtail-Feeling ein. Und auf den Trails hat man die Wahl zwischen straff und hocheffizient oder „sensibel, schluckfreudig, aber immer noch effizient. Letztere Einstellung ist perfekt geeignet, wenn man sich auf technisch anspruchsvolle Abfahrten wagt, auf denen es richtig zur Sache geht. Das Oiz TR macht auch auf Trails Spaß, für die bisher deutlich schwerere Allmountain- und Endurobikes zum Einsatz kamen – es ist wirklich beeindruckend. Der Squidlock-Hebel ist jedenfalls eines der großen Highlights des Oiz!

Trails, Trails, Trails – davon bekommt das Oiz TR nicht genug

Bemerkenswert ist auch die Dropper Post – ein kleines Detail mit großer Wirkung. Denn sie trägt ebenfalls dazu bei, dass das Oiz auf technischen Trails mehr Spaß macht. Wenn der Sattel unten ist, hat man einfach mehr Bewegungsfreiheit und fühlt sich sicherer. Statt dem Sattel zwischen den Beinen, genießt man stattdessen die frische Abfahrtsluft und die Airtime auf den (kleinen) Sprüngen, an die man sich mit dem Oiz TR durchaus heranwagen kann. Doch man muss kein*e erfahrene*r Enduropilot*in sein, um die Vorteile der TR-Version zu genießen. Wir behaupten einfach mal: Wer keine professionellen Rennen fährt, ist mit der Down-Country-Variante des Oiz besser bedient. Seine etwas spaßorientiertere Geometrie, mehr Federweg und die Dropper Post sorgen einfach für mehr Sicherheit auf dem Bike und letztendlich für total viel Fahrspaß.

Gegen gelegentliche Airtime hat das Oiz TR absolut nichts einzuwenden

Und wie schlagen sich die Parts am Oiz? Ziemlich gut – soviel vorab. Fangen wir mit der Schaltung an. Trotz Einfach-Antrieb vermissen wir rein gar nichts – außer vielleicht das Klappern der Kette. Im Ernst: Durch die erhöhte Kettenspannung in Kombination mit der Mini-Kettenführung läuft die Kette herrlich ruhig. Kein Schlagen, kein Knarzen und: viel einfacheres, intuitiveres Schalten mit nur einem Hebel. Die zwölf Gänge sorgen für eine riesige Übersetzungsbandbreite, die selbst auf richtig steilen Anstiegen völlig ausreicht. Dadurch ist zwar die Abstufung etwas gröber, als man es vielleicht von einem Zweifach-System gewohnt ist, doch darauf können wir gut verzichten. Oben angekommen freuen wir uns auf die Abfahrt. Hier glänzen dann die kräftigen Bremsen mit ordentlich Power, die mit Bedacht zum Einsatz kommen sollte. Denn – wenn überhaupt – dann gibt es einen Faktor, der bergab etwas Konzentration erfordert und das ist der Reifengrip. Hier muss man ehrlich sein: Der Rekon Race macht seinem Namen alle Ehre. Er ist eben ein schneller, leichtlaufender Cross-Country-Race-Reifen und kein griffiger Enduro-Pneu. Routinierte Fahrer*innen freuen sich über spaßige Kurvendrifts. Wer darauf nicht so steht, sollte vielleicht über ein etwas griffigeres Profil nachdenken. Das würde in Sachen Grip und Pannensicherheit sicherlich von Vorteil sein – allerdings auch das Gewicht etwas in die Höhe treiben. Letztendlich ist das aber ein kleines Detail, das man den persönlichen Vorlieben entsprechend einfach anpassen kann.

Orbea hat mit dem Update seines Oiz eine wirklich schwere Challenge bestanden und ein ohnehin schon gutes Bike noch besser gemacht! Mit der TR-Version ist den Basken sogar ein kleiner Geniestreich gelungen: Die Kombination aus super effizienten Cross-Country-Eigenschaften mit beinahe schon Enduro-mäßigem Spaßpotenzial ist wirklich gelungen und macht das Oiz TR zu einem super leichten und extrem effizienten 29er mit einem riesigen Einsatzbereich. Für uns eines der Trail-Highlights des neuen Modelljahrs!