Was haben Strava, Zwift, komoot und alle anderen Analyse-Tools gemeinsam? Sie basieren auf den nackten Zahlen. Kilometer, Höhenmeter, Suffer-Points, Normalized Power und so weiter sagen uns am Ende jeder Fahrradfahrt, wie gut wir waren, wie fit wir sind und ob wir vielleicht sogar einen neuen Rekord aufstellen konnten. Beim Radfahren gilt deswegen oft leider: Mehr ist mehr. Warum es aber total befreiend sein kann, deinen Radcomputer zu Hause zu lassen und mal ganz ohne zu fahren, darum geht es hier.
Als wir alle noch Spaß am Radfahren hatten …
Ich kann leider gar nicht mehr genau sagen, wann ich mit dem Radfahren angefangen habe. Aber ich weiß noch genau, wann ich das erste Mal deswegen enttäuscht gewesen bin. Es war als ich superstolz von einer total anstrengenden und aus meiner Perspektive ultraweiten Fahrt wieder zurück nach Hause kam. Ich fragte meinen Vater, wie weit die Fahrt in die nächste Stadt und wieder zurück ungefähr gewesen war. Ich schätzte so um die 50 bis 60 Kilometer. „Naja bestimmt schon so um die 15“, sagte er. Obwohl es eine total geniale Fahrradtour war, bei der ich richtig viel Spaß hatte, bekam ich nun schlechte Laune. Einfach weil die Zahlen nicht stimmten.
Und genau da ist der erste Haken beim Fahren mit den Zahlen im Hinterkopf. So unbedarft und voller Freude Fahrrad zu fahren wie als Kind, das schaffen wir mit unseren High-end-Geräten am Lenker wohl eher nicht. Den Trainingsplan im Kopf und die Zahlen vor den Augen fahren wir stur vor uns hin und freuen uns manchmal am Ende nicht über die schöne Tour, sondern darüber, dass wir alle Vorgaben, aber auch die geplante Strecke eingehalten haben. Abenteuer? Fehlanzeige! Auf der Jagd nach der Bestform oder dem nächsten Strava-Segment darf bloß nichts dazwischenkommen, auch kein kleiner Abstecher. Deswegen ist es sicher gut, seinen Fokus auch auf das Erlebnis und nicht nur auf das Ergebnis zu richten.
If it’s not on Strava it never happened
Mit dieser Weisheit sind wohl die meisten von uns vertraut. Denn ohne das Hochladen unserer Tour auf Strava, komoot oder anderen Social-Media-Sport-Plattformen weiß ja nun wirklich niemand, dass wir unterwegs waren. Aber wäre das denn wirklich so schlimm? Steigen wir für die paar Kudos aufs Bike oder weil wir es einfach lieben, draußen auf unserem Rad durch die Gegend zu fliegen? Leider beeinflussen Social-Media-Kanäle viel zu viele Teile unseres Lebens. Würden wir wirklich etwas verlieren, wenn wir nicht jede Fahrt hochladen? Wäre es wirklich nie passiert?
Was passieren könnte wäre auf jeden Fall ein Aufatmen, eine innerliche Befreiung. Viele von uns denken schon während der Fahrt darüber nach, wie sie ihre Tour bei Strava nennen. Einige stressen sich sogar damit, aufwendige Fotos zu machen, um sie dann in die Aktivität hochzuladen. Oder das allerschlimmste Gefühl, wenn nach der Fahrt keine Medaillen oder Pokale in der hochgeladenen Fahrt auftauchen. Eigentlich sollte das alles überhaupt keine Rolle spielen. Mit dem Gedanken, dass andere unsere Tour aber nach diesen Kriterien beurteilen, fällt es aber schwer, nicht darauf zu achten.
Was unser Körper gerade leistet, können wir anhand verschiedener Parameter direkt von unseren Radcomputern ablesen: Puls, Leistung und neuerdings auch noch die aktuelle Körpertemperatur plus Kohlenhydratverbrauch. Mit all den Daten und Zahlen verlieren wir immer mehr das Gespür dafür auf den eigenen Körper zu hören. Wie geht es mir? Wie fühle ich mich? Darauf können uns 160 Schläge pro Minute oder 230 Watt nur eine äußerst emotionslose, rein objektive Antwort geben. Natürlich können diese Infos auch wichtig sein, aber eben nicht allein. Um so aufschlussreicher ist es, genau diese elementare Fähigkeit wieder zu trainieren, uns wieder selbst mehr zu spüren und die beiden Informationsebenen dann zusammen zu nutzen.
Einfach der Nase nach
Wie viele Abenteuer erleben wir eigentlich noch im Alltag? Mit Sicherheit viel zu wenige und unser Fahrradnavi trägt dazu einen großen Anteil bei. Um auch wirklich auf Nummer Sicher zu gehen, planen wir selbst die kleinsten Ausfahrten und überspielen die GPX-Dateien dann auf die kleinen Wundergeräte an unseren Lenkern. Und dann fahren wir natürlich auch haargenau den kleinen Strich auf dem Display nach. Wenn uns danach jemand fragt: „Wo bist du lang gefahren?“, dann wissen wir es meistens gar nicht genau.
Deswegen: Warum nicht einfach mal ohne einen genauen Plan losfahren? Immer der Nase nach, dort abbiegen, wo du willst und nicht, wo es dir das Navi vorgibt. Dabei kannst du nicht nur neue Straßen und deine Gegend entdecken, sondern auch ein kleines Abenteuer zwischendurch erleben. Ins Unbekannte und Ungeplante zu fahren, kann schon etwas Überwindung kosten, aber schlimmer als am Ende einer Sackgasse wieder umzudrehen, kann es doch fast nicht kommen. Und auf Strava wird sich auch niemand über den eigenartigen Streckenverlauf wundern können. Wenn du dich dann doch hoffnungslos verfahren hast oder nicht mehr weiterweißt, kannst du ja immer noch mal schnell ein Auge auf die Planungs-App werfen.
Viele von uns nutzen ihren Fahrradcomputer auch, um damit ihr Training zu steuern. Es ist sogar ganz einfach, sich einen dieser Pläne auf das Gerät zu laden und dann immer genau das zu machen, was der kleine Computer uns sagt. Aber worauf wir eigentlich Lust haben, das steht da in den ganzen Vorgaben nicht. GA1 oder Intervall so und so und auf keinen Fall dürfen wir die Vorgaben verfehlen, sonst landen wir augenblicklich in der Fahrrad-Vorhölle. Manche von uns fühlen sich so von ihrer Freizeit mehr gestresst und unter Druck gesetzt als es je auf der Arbeit passieren könnte.
Training muss nicht das Erfüllen oder Abarbeiten eines Trainingsplans sein. Das klingt ja auch schon eher nach Pflichten und nicht nach Spaß. Es gibt zum Beispiel auch das Konzept des intuitiven Trainings. Ab und zu sprechen sogar einige Profis davon, dass sie sich erst kurz vor dem Training fragen: Wie fühle ich mich und worauf habe ich heute Lust? Klar können dann auch mal ein paar „Junk Miles” dabei sein, aber ist das wirklich so schlimm? Immerhin fahren wir doch Fahrrad, weil es das Beste überhaupt ist und nicht um uns auf Teufel komm raus selbst zu optimieren. Zahlen helfen auf jeden Fall bei der Trainingssteuerung, sie sollten aber nicht unser Leben diktieren.
Nichtsdestotrotz
Auch wenn es offensichtlich einige Gründe gibt, warum uns Garmin, Wahoo und Co. am Lenker den Spaß versauen könnten, so gibt es doch auch vieles, was uns diese kleinen Geräte erst ermöglichen. Denn wer freut sich nicht, am Ende des Jahres eine Übersicht mit allen Kilometern und Touren zu haben, die so in den 365 Tagen davor passiert sind? Und obwohl es auch Spaß machen kann, der Nase nach durch die Gegend zu fahren, so macht es doch mindestens genau so viel Freude, eine Tour zu planen und diese dann Highlight für Highlight abzufahren. Vor allem, wenn jemand zu Hause auf einen wartet, macht es Ausfahrten weiterhin viel besser planbar.
Auch für ein konstantes Training, insbesondere mit einem festen Ziel vor Augen, sind die Fahrrad-Computer natürlich richtig gut. Manchen hilft so ein Gerät in der Kombination mit Trainingsplan sich auch mal ordentlich zu pushen. Bei anderen sorgt es dafür, dass sie auch mal eine entspannte Runde drehen. In jedem Fall können die kleinen Geräte uns helfen die Hausaufgaben zu machen, um am Ende den Triathlon, Gran Fondo oder das Ultra-Race zu finishen.
Mit einem Garmin, Wahoo, Sigma oder anderem Computer am Fahrradlenker kann man sich schnell mal auf das Falsche fokussieren. Aber die kleinen Helfer machen uns das Leben in vielen Situationen auch wirklich leichter. Ein Bewusstsein dafür zu haben, dass es sehr befreiend sein kann, auch mal ohne zu fahren, ist sicher eine sehr gute Erfahrung, die alle mal machen sollten.