MARIN ist seit 1986 im Geschäft und hat sich als absolute Kultmarke etabliert. Wir sprechen mit Jörn Gersbeck von MARIN und schauen, woher das kommt, wie der aktuelle Stand der Marke MARIN aussieht und wie es weiter gehen wird.
Marin County ist ein kleiner Bezirk im Nordwesten der San Francisco Bay Area und der Namensgeber von MARIN Bikes, einer Marke, die immer etwas Besonderes war in der Fahrradwelt. Seit der Gründung im Jahr 1986 bis heute konnte MARIN immer wieder ganz besondere Bikes konstruieren sowie einige innovative Ideen in die Fahrradwelt bringen. Von den ersten Fullys bis zum aktuellen Gravel-Trend hat MARIN immer einen eigenen Weg bestritten und viele ikonische Bikes hervorgebracht. Daher ist es kein Wunder, dass die Kalifornier mittlerweile eine riesengroße Fangemeinde haben. Wir haben mit Jörn Gersbeck über MARIN gesprochen. Er ist für die Marke in Deutschland, Österreich und der Schweiz zuständig und pflegt selbst schon seit vielen Jahren eine große Liebe zu MARIN.
Hi Jörn. Schön, dass du dir die Zeit nimmst, uns ein paar Fragen zu beantworten. Vielleicht kannst du uns am Anfang erstmal kurz etwas zu dir erzählen?
Ich verantworte seit 2015 den MARIN-Vertrieb hier in der DACH-Region. Das war schon ein großer Schritt, da MARIN zu dieser Zeit faktisch sehr wenige Händler hatte und auch deutlich weniger Bikes verkauft hat. Ich selbst bin praktisch ein „Old Dog“ in der Branche. Seit 1989 bewege ich mich im Fahrrad-Universum. Angefangen im Einzelhandel in Nürnberg, der Wechsel 2011 zu Steppenwolf nach München und mit diversen Zwischenstationen dann zu MARIN Bikes. Ich selber bin schon 1989 mit der Marke direkt in Berührung gekommen und habe an freien Tagen während meiner Ausbildung die Bikes in Nürnberg montiert. Der damalige Vertrieb Delta Sports war sozusagen das Mekka der Szene. Mit einigen dieser Jungs und Mädels pflege ich heute noch eine gute Freundschaft. Es war eine unglaubliche Zeit, die ich nicht missen möchte. Es hat sich viel verändert! Aber MARIN war immer in den Top 3 meiner liebsten Bike-Marken und es wurde für mich ein Jugendtraum war, für die Marke zu arbeiten. MARIN rockt!
Über MARIN Bikes gibt es ja einiges zu erzählen. Fangen wir vielleicht erstmal bei der Gründung an: Wie lief das 1986, also vor 35 Jahren, als Bob Buckley sich entschloss, eine neue Fahrradmarke zu gründen?
Bob Buckley begann auf Anraten seines Arztes mit dem Mountainbiking, fand sich bald als leidenschaftlicher Mountainbiker in diesem Sport wieder und träumte von einem besseren Fahrrad. Zusammen mit einheimischen Enthusiasten gründete Buckley MARIN Bikes, um erschwingliche, qualitativ hochwertige Fahrräder zu entwickeln, die von der aufkeimenden Szene und dem ständig wachsenden Wegenetz in den umliegenden Hügeln inspiriert wurden. Sunshine Cycles in Fairfax, Kalifornien, diente als Zentrum der lokalen Fahrradkultur und dort lernte Buckley den ersten Produktmanager von MARIN Bikes kennen, den späteren National Champion und Mountain Bike Hall of Fame-Mitglied Joe Murray. Dave Turner, später von Turner Bikes, war ebenfalls maßgeblich an der frühen Produktentwicklung von MARIN beteiligt.
Ein Mountainbike von heute hat mit einem Mountainbike aus den 1980er Jahren nur noch wenige Gemeinsamkeiten. Wie ist MARIN den Weg des Fortschritts gegangen? Welche Meilensteine gab es?
Der Erfolg von MARINs erstem Modell, dem Madrone Trail, sorgte für Aufsehen und legte den Grundstein für die nächsten drei Jahrzehnte. Nur zwei Jahre nach der Firmengründung betrat das viel beachtete MARIN Team Titanium von 1988 Neuland als eines der ersten in Serie gefertigten Titan-Mountainbikes der Branche. Zu dieser Zeit begann MARIN, seine Modelle nach den ikonischen Wahrzeichen von Marin County in Kalifornien (Geburtsort und Standort der Firmenzentrale) zu benennen: Muirwoods, Bolinas Ridge, Pine Mountain, Indian Fire Trail, Eldridge Grade und Hidden Canyon. Auf der Seite der Mountainbike-Technologie war MARIN lange Zeit ein Pionier in Sachen Vollfederung. Das MARIN Titanium FRS von 1993 enthielt frühe Manitou-Federkomponenten und wog nur 11,4 Kilogramm. Jürgen Beneke pilotierte das Titanium FRS in jenem Jahr zur Weltmeisterschaft und sicherte der Marke MARIN einen Platz in den Köpfen der Öffentlichkeit mit ikonischen Grafiken und einem anthrazitfarbenen und eloxierten Farbschema, das ein denkwürdiger Teil der Mountainbike-Palette blieb.
Während der 1990er und 2000er Jahre baute MARIN eine große Fangemeinde durch coole und funktionelle Bikes und erfolgreiche gesponserte Fahrer auf. Hydroformed, Monocoque und immer mehr vollgefederte Modelle sowie das QUAD-Link-Design, gepaart mit einer stärkeren Betonung von Pavement-Bikes, schärften das Bild von MARIN. Außerdem gab die Marke so auch wichtige Impulse für die gesamte Fahrradindustrie.
Besonders seit den 2000er Jahren hat sich einiges beim Mountainbike getan. Wie haben sich MARIN-Bikes seit dieser Zeit verändert?
Es kamen ja zu dieser Zeit immer mehr europäische Marken – explizit deutsche – auf den Markt und haben sozusagen am „Heiligen Gral“ der US-Firmen und deren „Unantastbarkeit“ gegraben. Es wurde damals der Preis und die maximale technische Ausstattung zur Benchmark. Ich erinnere mich noch an Hardtails, welche eine komplette Shimano-XT-Gruppe und eine Topgabel hatten, die dann für 999 Euro zu haben sein mussten. Zu dieser Zeit hat MARIN sicherlich den Markt ziehen lassen und sich zu sehr auf Kult und Epos ausgeruht. Aber MARIN konnte sich dennoch über das Design klar von den Konkurrenten unterschieden und den eigenen Stil ikonisch prägen.
Gab es auch Irrwege, die MARIN gegangen ist?
Ich denke „Irrwege“ ist der falsche Begriff, denn nur daraus resultiert ja, wo man heute steht. Sicherlich war die Zeit mit hochgezogenen Kettenstreben etwas gewagt für den EU- oder deutschen Markt, da hier mehr das konservative Design der Diamantrahmenform bevorzugt wurde und wird. Und da haben es eben andere Marken gnadenlos vorgemacht. Am Schluss muss halt Geld in die Kasse. In Schönheit sterben macht auch keinen Spaß.
Was konnte die Marke daraus lernen?
Die Marke hat gelernt, dass es durchaus Sinn ergibt, neue Wege oder Designs und technische Optionen zu probieren, jedoch ohne den breiten kommerziellen Ansatz aus den Augen zu verlieren.
Das MARIN Quake und andere Bikes zeugten von großer Experimentierfreude, die nicht immer gut auf dem Markt ankam. Die aktuellen Modelle wirken ausgereift, aber nicht mehr so experimentell. Warum ist das so?
Das würde ich eher anders deuten: Das Wolf Ridge mit der bahnbrechenden R3ACT-2Play-Federungstechnologie von Naild eroberte im Frühjahr 2017 den Mountainbike-Markt im Sturm und wurde mit einem einflussreichen Design- und Innovationspreis ausgezeichnet, während das Hawk Hill zum zweiten Mal in Folge den Editor’s Choice Award des Bicycling Magazine erhielt und von zahlreichen einflussreichen Medien prämiert wurde.
Bei dem Wolf Ridge und auch dem Mount Vision hat man einen komplett neuen technischen Ansatz gewählt und die Performance der Fahrwerkstechnik maximal ausgereizt. Die Naild-Technik bietet eine bis dato nie dagewesene Performance, welche das Bike auf eine neue technische Stufe hebt. Aber auch hier war der optische Ansatz gewagt und wieder wollte der Kunde klassisch anmutende Bikes. „Classic never dies“. Somit haben wir mit der Multitrack Technologie sehr traillastige Bikes, die den Zeitgeist voll treffen.
MARIN hat sich ja im Laufe seiner Geschichte von einer reinen Mountainbike-Marke weiterentwickelt und bietet heute ein großes Portfolio vom Kinderfahrrad bis zum Gravelbike an. Gibt es trotzdem noch eine Kern-DNA?
Ganz klar, die DNA bei allen Bikes ist „Made for Fun“! Die Performance unserer Räder ist der Spaß und das Erlebnis unterwegs. Podiumsplätze sind nicht mehr der Fokus!
Seit ein, zwei Jahren gibt es einen massiven „Fahrrad-Boom“ angetrieben durch Corona und E-Bikes. Wie hat sich das bei MARIN bemerkbar gemacht? E-Bikes gibt es bei MARIN kaum im Portfolio. Warum?
Wir von MARIN gehen ganz klar den Weg, dass wir Fahrräder für alle Zielgruppen bauen und anbieten wollen. Für Leute, die sich das Geld für ein Einstiegsfully absparen, ebenso wie für alle, die ein geiles Carbonfully oder Gravelbike suchen. MARIN ist eine Marke, bei der Geschichte, Fun und Pioniergeist nie verloren gegangen sind. Das haben wir in super Modelle gepackt und das wollen die Leute. Sehr gute Technik, Modelle mit Optionen upzugraden, Fun und in den akzeptablen Preisklassen. Dann sind wir eine Marke, die gerne auch Stahlbikes anbietet. Gerade im Gravel ist das ein Volltreffer.
Bezüglich der Frage nach den E-Bikes, könnte man auch fragen, warum machen andere nur noch E-Bikes? Wenn wir ein E-Bike bringen, dann muss das Design länger als ein Jahr laufen, denn die Entwicklungskosten sind enorm verglichen mit einem Standardrad. Aber da ist einiges in Planung und es wird nicht langweilig. It’s all about fun!
Wo geht die Reise für MARIN hin?
Man könnte nun sagen, nach oben. Aber wir möchten die Erfolgsgeschichte von MARIN Bikes weiter beleben. Den Kunden dauerhaft ein Bike mit maximalen MARIN-Genen geben und zusammen Spaß haben. Ach ja, und einen Irrweg darf es auch einmal geben, nur nicht zu lange.
Vielen Dank Jörn für das Gespräch, wir wünschen dir und MARIN noch jede Menge FUN!