Nahezu alle Triathlons der Saison sind abgesagt. Klar hört man immer wieder von den Jan Frodenos dieser Welt, die einfach zu Hause eine Langdistanz absolvieren. Aber geht so etwas auch für normale Menschen?
Fangen wir am Anfang an: Es ist März 2019, und ich entschließe mich bei einem regnerischen Spaziergang dazu, für eine Langdistanz zu trainieren. Mein Hintergrund ist dabei keinesfalls der eines Elite-Ausdauersportlers. Ich besitze kein Rennrad. Die längste Laufeinheit meines Lebens war 10 Kilometer und von Schwimmtechnik kann sowieso nicht die Rede sein. Aber der Wille ist da und ich glaube, dass ich es schaffen kann. Also beginnt ein hochspezifischer Trainingsplan, der mich für den Wettkampf eineinhalb Jahre später fit machen soll.
Also trainiere ich meinen Körper über Monate hinweg in den drei Disziplinen. Währenddessen absolviere ich auch eine Olympische Distanz sowie eine Mitteldistanz und lerne dabei wertvolle Lektionen über meinen Körper, meine Ausrüstung und meine Rennstrategie. 902 Stunden reine Trainingszeit sind die aufgezeichnete Bilanz seit Beginn des Trainings.
Doch dann kommt Corona und im Mai ist klar: Das wird dieses Jahr nichts mit meinem Debut in Klagenfurt am Wörthersee. Gleichzeitig muss ich mir eingestehen: Ein solches Trainingslevel halte ich nicht mal eben so über weitere zwölf Monate. Wäre es also nicht möglich, selbst einen Langdistanz-Triathlon zu organisieren? Nur für mich, also meine eigene Simulation unter möglichst gleichen Bedingungen?
Die Streckenplanung
Schwimmen
Ich wohne im Allgäu direkt an der Grenze zu Österreich bei Füssen. Glücklicherweise ein idealer Ausgangspunkt, um ein solches Vorhaben umzusetzen. Direkt vor meiner Haustüre liegt leuchtend blaue Forggensee. Für die Schwimmstrecke sind 3,8 Kilometer im offenen Gewässer als erstes Segment des Rennens zu bewältigen. In einem richtigen Triathlon werden von den Veranstaltern mit Bojen die Wendepunkte markiert. Diesen Luxus habe ich leider nicht. Ich wähle also einen Kurs, der in einer geraden Linie über eine Bucht von Steg zu Steg führt – die einzigen beiden Punkte die ich fix anschwimmen kann. Per Satellitenbild messe ich die Distanz aus: 550 Meter. Ich plane, die Strecke sieben Mal hin und her zu schwimmen, um so relativ genau meine Zieldistanz zu erreichen. Nicht besonders abwechslungsreich, aber im Wasser kann man ohnehin schlecht die Aussicht genießen.
Rad
Leider führt nur ein Schotterweg hinunter zum See. Da ich die 180 Kilometer lange Bikestrecke ungern mit einem Gravelbike fahren möchte, muss ich für die “Transition-Zone” einen kleinen Kompromiss eingehen: Aus dem Wasser raus, plane ich meinen Neoprenanzug auszuziehen, in mein Fahrrad-Outfit zu schlüpfen und mit dem Auto kurz ein paar Meter bis zum Start mit dem Rad zu fahren. Das ist nicht so zeiteffizient wie bei den Profis, aber für meinen Zweck völlig in Ordnung. Entsprechend kann ich es mir auch sparen, meine Schuhe bereits in die Pedale einzuklicken und sie während dem Fahren anzuziehen. In meinem Leistungsbereich und bei meiner Zielzeit geht es nun wirklich nicht um Sekunden. Nicht, wenn ich insgesamt weit jenseits der zehn Stunden unterwegs sein werde …
Ich fahre im Vorfeld des eigentlichen Renntages verschiedene Strecken in der Region und kombiniere immer wieder neue Segmente. Mir ist dabei besonders wichtig, das die 180-Kilometer-Strecke über möglichst wenig Höhenmeter und gut asphaltierte, verkehrsarme Straßen führt.
Wenige Wochen vor meinem Vorhaben habe ich endlich eine geeignete Strecke zusammengebaut. In einer sonntäglichen Trainingsfahrt teste ich sie einmal komplett. Die Generalprobe sitzt und liefert wie erwartet rund 180 Kilometer. Ich nehme noch ein paar feine Anpassungen vor und die Strecke steht!
Laufen
Fehlt noch die Laufstrecke für den Marathon. Hier bin ich natürlich etwas eingeschränkt, denn sie muss genau dort starten, wo die Radstrecke endet. Nichtsdestotrotz hat man bei einer solchen Distanz einigen Spielraum, was den Verlauf der Strecke angeht.
Auch hier gibt es wieder einige Parameter, die ich beachte: So wenig wie möglich Höhenmeter über variables Terrain (Trails, Schotter, Asphalt). Hauptsache Abwechslung für die Beine.
Die Strecke plane ich anhand meines Garmin-Routenplaners und Google Maps. Im Vergleich zum Rad kann ich diese aber nicht am Stück testen. Das wäre eine deutlich zu hohe Trainingsbelastung für einen einzigen Tag im Vorfeld zum Rennen.
Ich bin zum Training auch im Vorfeld schon einen Marathon gelaufen. Allerdings gehe ich davon aus, dass der Trainingsmarathon nicht viel mit dem Marathonteil des Triathlons gemeinsam haben wird, was meine Befindlichkeit angeht. Ich versuche also eine abwechslungsreiche Strecke zu finden, die mir ein Gefühl des Vorankommens vermittelt, selbst wenn die Beine müde und der Körper ausgebrannt sind. Die finale Route verläuft also großteils entlang mehrerer Seen auf mäandernden Wanderwegen, sodass keine zähe, kilometerlange Asphaltwüste vor mir liegt.
Die Logistik
Regelmäßige Stopps
Mit den fertig geplanten Strecken für alle drei Disziplinen stellt sich nun die Frage, wie die Logistik am Tag des Rennens aussehen muss. Während einer offiziellen Veranstaltung passiert man als Athlet alle paar Kilometer eine Versorgungsstation – auch oft Aid Station genannt. Dort kann man frische Verpflegung an sich nehmen und Müll und leere Flaschen loswerden. Eine ähnliche Möglichkeit benötige ich ebenfalls, wenn auch nicht mit ganz so hoher Frequenz.
Ich plane stündlich mindestens 0,5 Liter zu trinken und 200 – 300 Kalorien zu mir zu nehmen. Auf dem Rad bedeutet das, dass ich ungefähr alle 50 Kilometer eine Aid Station benötige, um meine beiden Radflaschen aufzufüllen und mir ein paar neue Snacks in Form von Gel und Riegeln zu greifen. Bei einer Trainingstour kommt man natürlich auch selbstversorgt deutlich weiter: Erstens ist es nicht schlimm, die Fahrt etwas dehydriert zu beenden und deshalb insgesamt weniger zu trinken. Zweitens kann man auch gut in der Trikottasche noch eine Soft Flask mitführen oder einfach einen Radrucksack tragen. Das würde ich aber gerne vermeiden – der Tag wird ohnehin anstrengend genug.
Eine gute Crew ist alles
Glücklicherweise gibt es genügend Leute, die sich freuen, mir beim Leiden zusehen. Und so gelingt es mir, eine tolle Support Crew zu organisieren. Meine Freundin und zwei meiner besten Freunde erklären sich bereit, mit einem Auto den Tag zu begleiten und verschiedene Streckenpunkte anzufahren, an denen ich sie treffen werde. Der Kofferraum des Autos wird in weiser Voraussicht mit allem möglichen beladen, was ich für den Tag brauche oder im Notfall zusätzlich benötigen könnte: Werkzeug, Ersatzteile, Regenjacke, Wasser, Elektrolyte Pulver, Gels, Riegel, Bananen, Wassermelone, usw.
Aber nicht nur das: Einer meiner beiden Freunde wird die gesamten 180 Kilometer Radstrecke gemeinsam mit mir fahren. Das ist eine tolle Ablenkung und ein unschätzbarer moralischer Bonus. Die vielen Stunden auf dem Rad können alleine sicher an die Substanz gehen. Und je weniger ich bereits an die schweren Kilometer des Laufs denke und mich auf die Straße vor mir konzentriere, desto besser ist es.
Für den Marathon sieht die Sache schon komplizierter aus. Der größte Teil der Strecke ist nicht mit dem Auto befahrbar und die Abstände zwischen Stopps wären so recht groß. Ich plane auf jeden Fall meine Trinkweste zu tragen, um so einige Flüssigkeit mitzuführen.
Erstaunlicherweise erklärt sich mein Freund aber bereit, nach der gesamten Radstrecke von seinem Rennrad auf ein Gravelbike umzusteigen und die ersten 21 Kilometer des Laufs auch noch zusätzlich neben mir her zu fahren, um mir so Verpflegung zu reichen. Wow, was für ein Einsatz! Ich weiß wie sich mein Hinterteil nach einer solchen Strecke anfühlt und wie anstrengend es sein kann, dann nochmal zwei Stunden im Sattel zu verbringen. Mein größter Respekt!
Auf der zweiten Hälfte des Laufs will dann mein anderer Freund mit einsteigen und den letzten Halbmarathon des Tages mit mir gemeinsam laufen. Auch dies stellt eine enorme Hilfe für mich dar, da speziell auf diesem Stück ein mentaler Kampf in mir brodeln wird. Ich kündige meinem Freund aber bereits im Vorfeld an, dass er sich keine Halbmarathon-Bestzeit für seine eigene Rekordliste erhoffen soll.
Alles fertig
In Vorbereitung auf den großen Tag packe ich alle benötigten Dinge in verschiedene Tüten zusammen. Eine für’s Schwimmen, eine für’s Rad, eine für den Lauf, eine mit Ersatzteilen und eine mit Verpflegung.
Ich mache außerdem nochmal einen kompletten Bikecheck und prüfe jede einzelne Schraube. Das Gute ist, dass ich das Rad ja nicht transportieren muss, weil ich von zu Hause starte, und so bin ich sehr zuversichtlich, dass alles reibungslos läuft. Aber besser auf Nummer sicher gehen. Auch der Reifendruck wird natürlich nochmal auf ein Optimum gebracht.
Außerdem stelle ich ein zweites Auto am Ende der Radstrecke ab und lade das Gravelbike meines Freundes in den Kofferraum. So kann er dort für den Lauf in kurzer Zeit auf das andere Rad steigen, während der Rest der Crew die beiden Rennräder im “Abstell-Auto” verstaut und dann mit dem Supportwagen weiter fahren kann. Verrückt, wie viel Material sich insgesamt in den beiden Autos inzwischen angesammelt hat.
Zu guter Letzt gehen wir alle gemeinsam nochmal den Tagesablauf, die Stecke und alle Aid Stations durch, schlagen uns mit Pizza den Bauch voll, um den Kohlenhydratspeicher schön zu füllen, und dann geht es ab ins Bett um nochmal ein wenig Schlaf zu tanken. Morgen wird ein langer Tag für uns alle.
Der Tag des Rennens
Viel Schlaf ist leider nicht, die Aufregung ist zu groß. Sportlich gesehen, wird das der Höhepunkt meines Lebens. Bei neun Grad Außentemperatur geht es um 07:00 Uhr in den kühlen Forggensee.
Alles läuft nach Plan und nach einiger Zeit stehe ich wieder auf dem Steg und streife mir den Neoprenanzug ab. Schnell das Bike-Outfit angezogen und ein paar Meter mit dem Auto den Schotterweg hinauf und los geht es mit dem zweiten Teil der Strecke.
Gemeinsam mit meinem Freund rolle ich los und auch hier verläuft alles perfekt. Wir fahren einen ordentlichen Schnitt, zunächst etwas flotter bei leichtem Gefälle und zum Ende der Tour hin etwas gemäßigter, um den Puls an den Anstiegen zu kontrollieren. Unterm Strich steht bei 180 Kilometern ziemlich genau ein 30 km/h Schnitt, zuzüglich drei kurzen Pausen an den Aid Stations um Flaschen zu füllen und einen Bissen zu essen. Damit bin ich sehr zufrieden, zumal ich mich noch absolut super fühle.
Wir kommen wie geplant beim zweiten Auto an und ich ziehe mich direkt um – Laufschuhe und Hose sowie die Trinkweste. Alles geht schnell und schon bin ich wieder unterwegs. Meine Crew kümmert sich derweil um alle anderen Dinge. Sie verladen die Fahrräder und machen sich zum nächsten Stopp auf.
Das alles allein zu tun, wäre sicherlich möglich, aber ein riesiger Mehraufwand. Allein die Gewissheit, nicht mitdenken zu müssen, ist eine enorme Erleichterung und ich bin Stunde um Stunde erneut dafür dankbar, diese Unterstützung zu erhalten.
Auf den ersten Kilometern des Laufs reflektiere ich nochmal wie gut bisher alles lief: Über den ganzen Tag hinweg hat alles perfekt gepasst. Die Aid Stations bei der Radstrecke waren wie Boxenstopps in der Formel 1. Kaum kamen wir zum Stillstand gekommen, haben unsere Freunde die Flaschen nachgefüllt. Eine mit Wasser, eine mit Elektrolyt-Lösung. Wir konnten uns einige Kalorien gönnen und kurz ein bisschen den Nacken strecken, der nach vielen Stunden in der Aero-Position doch recht angespannt ist. Da das Windschattenfahren in offiziellen Triathlons nicht gestattet ist, war es mir auch wichtig, darauf in meinem eigenen Anlauf zu achten. So rollte ich entweder immer in vorderer Position oder nebeneinander. Passt man nicht gut auf, tut der kühle Fahrtwind sein Übriges zu einer soliden Nackenverspannung. Und das kann man bei einem Marathon wirklich nicht gut gebrauchen.
Wie vorausgesehen wird der Lauf zunehmend anstrengender. Der erste Halbmarathon geht noch recht gut von der Rolle aber als mein anderer Freund bei der 21-Kilometer-Grenze mit einsteigt, bin ich wirklich an einem Punkt, an dem ich kämpfen muss. Es tut gut, ein weiteres bekanntes Gesicht an der Seite zu haben und so quäle ich mich die letzten Kilometer immerhin in sehr angenehmer Gesellschaft langsam in Richtung Ziel.
“Servus”, “Guten Abend”, “Achtung … Danke!” – mit Tunnelblick passiere ich laufend Wanderer, die nicht ahnen, dass mir bereits 220 Kilometer in den Beinen stecken.
Die letzten Meter des Laufs absolviere ich auf einem Staudamm an der Lech, einer meiner liebsten Orte in der Region und mein absolutes Traum-Finish. Nach ungefähr 13:30 Stunden komme ich am Abend um 20:30 Uhr kurz vor Sonnenuntergang ins Ziel. Es ist ein wundervoller Moment mit einigen der besten Freunde meines Lebens. Ich kann mir nichts Schöneres wünschen, als meine erste Langdistanz so zu beenden.
Auf eine gewisse Art und Weise ist es ein intimerer und schönerer Moment, als es das große Finish in Klagenfurt gewesen wäre. Niemand auf dem Staudamm weiß, was ich gerade getan habe. Wir sind in unserer eigenen, kleinen Welt.
In diesem Moment gibt es nur meine Freunde und mich und ein tiefgehendes Gefühl der Zufriedenheit. 2020 hat uns allen viel abverlangt und dieser Tag ist ein kleiner Triumph – ein kleiner Sieg für uns alle – Corona zum Trotz.