Focus hat eine lange Tradition als Hersteller von Rädern für den Wettkampfeinsatz. Ihre E-Bike-Modelle sind diesem Erbe folgend keine entschärften Tourenversionen, sondern sportliche Fahrräder mit Mehrwert. Die Grundidee der Stuttgarter Bike-Company war dabei von Anfang an, dass sich ein E-Bike fahren soll wie ein herkömmliches Bike, aber mithilfe des Motors einige Vorteile bietet. Passend zum unmotorisierten All-Mountain-Bike „Jam“ gibt es also das „Jam2“ mit 150 mm Federweg, das wir uns in der „Drifter“-Edition geschnappt und über die Trails gejagt haben. Würde die dicke Portion Extrapower in Form eines Shimano Steps E8000-Mittelmotors mit 250 Watt zusätzlichem Schub auch in mehr Fahrspaß resultieren? Genau das wollten wir herausfinden!
Allgemeine Infos
E-MTB Power ganz diskret – wer nicht ganz genau hinschaut, sieht zunächst nur ein normales gutaussehendes All-Mountain-Fully.
Wenn man nicht ganz so genau hinschaut, könnte man meinen, es stünde ein stinknormales, modernes und gutaussehendes All-Mountain-Fully vor einem. Es ist schon erstaunlich, was aus den einst schweren, klobigen und von einem dicken Akku verunstalteten E-Bikes der ersten Tage geworden ist. Das Focus ist in seiner gesamten Formsprache ein leichtes, modernes und leistungsfähiges Sportgerät. Motor und Akku sind so unauffällig wie nur möglich ins System integriert. Das voluminöse Unterrohr nimmt den Akku auf und das Tretlager integriert den platzsparenden Shimano-Motor der neuesten Generation. Die cleane 1×12-Schaltung von SRAM, die komplett im Rahmen verlegten Züge und die vollständig integrierte Elektronik sorgen zusätzlich dafür, dass dieses Fahrrad einfach gut aussieht.
SRAM’s GX-Eagle-Schaltgruppe bietet eine riesige Übersetzungsbandbreite, die wirklich für jede Art von Steigung den passenden Gang bereithält. Hochwertige Federelemente von Fox sorgen für optimalen Komfort und maximale Kontrolle. Der Shimano Steps-Motor ist dezent ins Rahmendesign des Jam2 integriert.
In Sachen Parts steht ein solides Mittelklassemodell vor uns. Robuste Anbauteile, eine SRAM GX Eagle-Schaltgruppe, eine KS Dropper Post, Mavic-Laufräder und Maxxis-Bereifung versprechen solide Funktion. Die Federung stammt aus dem Hause Fox. Zum Einsatz kommen eine 36-Federgabel und ein Fox Float DPS Dämpfer auf Performance-Level. Das ist die günstigere der beiden Fox-Modellreihen, die extra auf den Einsatz in E-Mountainbikes abgestimmt sind.
Alle Leitungen und Kabel verschwinden in diesen „Kabelschächten“, die für genau das richtige Maß technisch-futuristischen Designs sorgen. Über diesen Schalter im Shimano-XT-Style wählt man den gewünschten Fahrmodus aus. Sauber integriert: Das unauffällige Display informiert über Fahrmodus und Akkuladestand und hält auf Wunsch noch weitere Informationen bereit (z. B. Reichweite oder gefahrene Kilometer). Der On/Off-Schalter ist sauber ins Oberrohr integriert.
Eine Besonderheit der Drifter-Edition stellen die Laufräder dar: Während vorn ein 2,6 Zoll breiter Maxxis Minion DHF mit 29 Zoll Durchmesser zum Einsatz kommt, wird hinten ein megabreiter 2,8-Zoll-Reifen in 27,5-Plus verbaut. Um das wahrzunehmen, mussten wir aber schon die Beschriftung auf der Karkasse durchlesen: Optisch fällt der Unterschied erst auf den zweiten Blick auf, das ganze Bike wirkt total stimmig, hochwertig und aufgeräumt. Durch den etwas kleineren Raddurchmesser am Hinterrad wird der Lenkwinkel ein wenig flacher, als beim normalen „Jam2“ – insgesamt liegt der Focus bei diesem Bike also eher auf Top-Grip und beste Abfahrtseigenschaften.
Der Elektro-Antrieb
Focus verwendet einen Steps E8000 Motor, der zurzeit das Maß der Dinge für Mountainbikes aus dem Hause Shimano kennzeichnet. Zusammen mit Kurbel und Steuerung/Display des Elektroantriebs bildet er ein total stimmiges Gesamtpaket – eine gute Sache, wenn alles aus einem Hause stammt. Der eigentliche Motor ist einer der leichtesten auf dem Markt und liefert 250 Watt extra. Die Energie dafür kommt aus dem im Unterrohr integrierten Akku mit einer Kapazität von 378 Wh, die sich mit einem zusätzlichen Akku, den man auf dem Unterrohr montieren kann, auf 756 Wh erweitern lässt. Theoretisch könnte man sich sogar mehrere Ersatzakkus in den Rucksack packen und die Reichweite auf diese Weise beliebig erweitern. Im Grunde muss man nur eines: Vor dem Fahren daran denken, alles aufzuladen und alle erforderlichen Teile mitnehmen.
Ein zusätzlicher Akku lässt sich einfach auf eine Schiene am Unterrohr einrasten. Ohne Akku bietet der Rahmen hier Platz für eine Trinkflasche.
Dazu eine kleine Anekdote von unserer ersten Testfahrt: Da wir noch nicht wussten, wie weit eine Akkuladung reicht, packten wir vorsichtshalber den zweiten Akku mit ein. Wir wähnten uns in Sicherheit, gaben im Boost-Modus ordentlich Gas und als schon zwei Balken der Ladestandanzeige verbraucht waren, schoss es und durch den Kopf: War da nicht noch dieses Kabel zum Anschließen des zweiten Akkus? Ja – das braucht man tatsächlich. Und das lag daheim im Keller. Also schnell in den Eco-Mode und hoffen, dass der Hauptakku allein trotzdem noch reicht. Es passte zum Glück haarscharf und die erste Lektion war gelernt: Um das volle Potenzial und maximalen Spaß mit einem E-Mountainbike zu genießen, muss man nicht viel tun. Die Technik und insbesondere die Akkus sollte man aber ein wenig kennenlernen und im Auge behalten.
Für die Fahrt stehen übrigens drei Modi zur Verfügung: Der Eco-Mode, der ab Werk für ein dynamisches Fahrverhalten bei erhöhter Reichweite abgestimmt ist, der Trail-Mode, der sich der Kraft deines Antritts anpasst, und der Boost-Mode, der volle Power liefert. Per App lassen sich alle Modi personalisieren, sodass jede*r Fahrer*in das Optimum für sich einstellen könnte, wenn die Werkseinstellungen nicht passen sollten. Außerdem kann man über die App die Firmware der einzelnen Komponenten des Elektroantriebs aktualisieren.
Der Motor wird von diesem dezent integrierten Schutz vor Schäden durch Aufsetzen oder Steinschlag bewahrt.
Fahreindruck
Mit vollen Akkus machten wir uns also auf zu weiteren Testfahrten. Es ist verrückt, wie schnell man sich an die Extrapower gewöhnt und beginnt, anders zu planen. Lange Transferpassagen zwischen Trails verlieren ihren Schrecken und wenn man früher 25 Kilometer biken war, so sind nun 50 Kilometer überhaupt kein Problem. Im Grunde kann man es schnell auf den Punkt bringen: Bergab macht es mit diesem Bike total viel Spaß, bergauf aber auch!
Ansonsten gibt es keine Unterschiede? Natürlich gibt es die. Allem voran erfordert das deutlich höhere Bikegewicht etwas Eingewöhnung. Im Antritt relativiert der Motor dieses Gewicht, sodass man leichtgängig durch die Gegend rollt. Bergab spürt man die Extrakilos natürlich. Insbesondere aktives Abspringen erfordert etwas mehr Körpereinsatz – mal eben über einen umgefallenen Baum zu springen, braucht ein wenig Übung. Ansonsten gewöhnt man sich schnell an das höhere Gewicht. Warum auch nicht: Downhillbiker der ersten Stunde hatten auf ihren schweren Downhillboliden den Spaß ihres Lebens!
Das höhere Gewicht bringt auch Vorteile mit sich: Das Bike liegt richtig satt auf der Piste! Dazu kommt der enorme Grip der breiten Reifen: Ein weiterer Luxus, den der E-Antrieb ermöglicht. Das Mehrgewicht und der höhere Rollwiderstand der Reifen werden easy vom Motor kompensiert, die gute Federung aus dem Hause Fox hält die Extrakilos souverän unter Kontrolle. Was bleibt, ist ein phänomenaler Grip, bergauf wie bergab.
Unterwegs könnte man beinahe vergessen, dass ein Motor beim Pedalieren hilft. Der Steps-Antrieb arbeitet total unauffällig, völlig ruckfrei und ganz sanft. Fährt man über 25 km/h, klinkt er sich unauffällig aus. Auf Downhills rollt man also meistens ohne Motorunterstützung zu Tal – wie auf einem herkömmlichen Mountainbike. Die Schwerkraft sorgt also auch beim E-MTB für ungetrübten Bergabspaß.
Beim Anfahren arbeitet der Motor dem Antritt sensibel zu, ohne dass man einen Kickstart im Wheelie-Style hinlegen würde. Das leichte Surren des Elektromotors ist stets präsent, aber so dezent, dass man es bald kaum noch wahrnimmt. Anstiege verlieren ihren Schrecken. Im Gegenteil: Sie machen auf einmal richtig Spaß, sodass es nicht lange dauert, bis wir auf der Suche nach „coolen“ Anstiegen sind. Steile Singletrails zum Beispiel, die man normalerweise niemals freiwillig bergauf fahren würde. Nun werden sie zur Fahrtechnik-Challenge, wie eine schnelle Singletrailabfahrt, nur eben bergauf.
Und wie lange währt der Spaß? Das hängt natürlich von vielen Faktoren ab: von der Topografie des Geländes, vom Fahrer*innengewicht, vom Fahrstil und vom genutzten Antriebsmodus. Hier lässt sich also keine pauschale Antwort geben. Wir behaupten allerdings mal, dass für den normalen Gebrauch auf Hometrails in den meisten Fällen der integrierte Akku ausreicht. Bei sportlicher Fahrweise und einem Mix aus allen drei Modi haben wir mit einer Akkuladung problemlos knapp 60 Kilometer geschafft – da ist man schon ein paar Stunden unterwegs. Packt man dann noch den zweiten Akku (und das Kabel!) ein, sollte eine ausgiebige Tagestour ebenfalls drin sein.
Fazit
Eine Fahrt mit dem Focus Jam2 ist waschechter Mountainbikespaß mit gewissem Extra. Unaufdringlich und wohldosiert liefert der Shimano Steps E8000 zusätzliche Antriebskraft, die sich in vielerlei Hinsicht nutzen lässt. Zum vorsichtigen Trainings-Neustart nach einer Verletzung. Für Gelegenheits-Mountainbiker*innen, die nun mit ihren routinierteren Bike-Freund*innen mithalten können oder für Paare mit unterschiedlichem Fitnessstand. Für gleichmäßiges Ausdauertraining in anspruchsvollem Gelände oder einfach für unbeschwertes Shredden mit mehr Trails, als es bisher möglich war. Ob erfahrener Profi oder Mountainbike-Einsteiger*in: Das Focus „Jam2“ ist ein funktionell und optisch ausgereiftes Bike, mit dem wir richtig viel Spaß hatten!