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Ein Radjournal von Brügelmann

Ernährung auf dem Rad

Ernährung auf Radtouren

Ernährung auf Radtouren

10 Fragen an die Expertin Julia Zichner

Brügelmann Blog 21. Juli 2022 8 min.

Jeder Motor braucht den richtigen Kraftstoff, um seine Leistung abrufen zu können. Das gilt für Maschinen auf der Straße genauso wie für uns auf dem Fahrrad. Je länger die Tour beziehungsweise die Belastung dauert, umso wichtiger ist der passende Treibstoff für uns. Egal ob bei einem Grand Fondo, einer Bikepacking-Tour oder einem Alpen-Cross – wenn die Ernährung unterwegs nicht passt, kannst du keine Leistung mehr bringen. Wir haben die Oecotrophologin und Ernährungsexpertin Julia Zichner von fooducation zu den wichtigsten Faktoren einer gelungenen Ernährung bei langanhaltenden Belastungen befragt.

Julia Zichner Oecotrophologin
Julia Zichner ist Expertin für alle Fragen rund ums Thema Sport und Ernährung

Wichtiger als das Training ist die Ernährung, heißt es. Lässt sich das wirklich so leicht sagen?

Um ein (sportliches) Ziel zu erreichen, ist beides wichtig und gehört zusammen. Deshalb sollten Training und Ernährung aufeinander abgestimmt sein. Über die Ernährung lässt sich auf jeden Fall vieles regulieren.

Um intensive Trainingsprogramme erfolgreich meistern zu können, sind genug Kohlenhydrate nötig und generell ausreichend Energie. Das steuere ich über die Ernährung. Wenn ich intensiv trainiert habe, brauche ich neue Bausubstanzen für meine Muskulatur – die bekomme ich über die Ernährung.

Wer nebenher Körperfett reduzieren will, darf ein paar Kalorien einsparen beziehungsweise ist die negative Energiebilanz die Eintrittskarte hierfür. Auch das wird unter anderem über die Ernährung geregelt. Außerdem läuft die Fettverbrennung besser, wenn nicht permanent Kohlenhydrate angeboten werden. 

Wenn ich fleißig trainiert habe, mir aber im Wettkampf der Ofen zu früh ausgeht, dann klemmts meist in Sachen Verpflegung. Training ist hier nur die halbe Miete – ich muss mein Leistungspotenzial auch abrufen können. 

Letztlich greift Ernährung auch weiter in Richtung Gesundheit oder Immunsystem. Nur wenn ich gesund bin, kann ich trainieren. Am Ende hängt alles miteinander zusammen. Sowohl Training als auch die Ernährung sollten zum Ziel passen.

Gemüse Supermarkt
Eine gesunde Ernährung hilft offenkundig auch bei der Bestform

Worauf sollten sportlich aktive Menschen bei der Ernährung neben den Basics besonders achten?

Grundsätzlich sollte die Ernährung zum Training passen. Decke ich meinen Energiebedarf – wird der durchs Training produzierte Mehrverbrauch an Energie gedeckt? Passt der Kohlenhydratanteil zur Belastung? Je intensiver trainiert wird, umso höher der Bedarf an Kohlenhydraten. Gleiches gilt für die Proteine. Der Proteinbedarf von Sportlern liegt etwas höher.

Und ansonsten gilt es, auf qualitativ hochwertige Lebensmittel zurückzugreifen. Damit sind in erster Linie Grundnahrungsmittel statt Fertigprodukte gemeint. Denn Sportler brauchen natürlich auch mehr Vitamine und Mineralstoffe. Das reguliert sich allerdings mit guter Lebensmittelauswahl automatisch, denn Sportler nehmen auch mehr Nahrung zu sich. Das fordert der höhere Energiebedarf zwangsläufig ein. Mehr hochwertige Nahrung bringt automatisch auch mehr Mikronährstoffe mit sich.

Dinkelnudeln
Wer viel und hart trainiert, braucht genügend Kohlenhydrate – am besten aus dem vollen Korn

Unterscheidet sich die optimale Ernährung von Radsportler*innen im Alltag von weniger aktiven Menschen?

Hier gilt das Gleiche: Die Kalorienzufuhr und die Auswahl der Nährstoffe sind an den höheren Bedarf anzupassen. Eigentlich unterscheidet man gar nicht nach Sportarten, wenn es um den Bedarf an Nährstoffen geht. Wichtiger sind Faktoren wie Art, Dauer und Intensität der sportlichen Belastung. Je länger und je intensiver die Muskulatur beschäftigt ist, umso mehr verschiebt sich der Nährstoffbedarf nach oben. Hier sollte man im Blick behalten, ob der jeweilige Mehrbedarf tatsächlich gedeckt wird.

Gemüse Supermarkt
Mehr Bedarf durch Bewegung heißt auch mehr Essen. Am besten natürlich gesund.

Was hältst du von Ernährungstrends wie Intermediate Fasting, Low Carb oder vegan?

Grundsätzlich kann man das alles ausprobieren. Ich würde mir vorher die Frage stellen: Welches Ziel verfolge ich mit der neuen Ernährungsweise? Viele versprechen sich zu viel von diversen Konzepten. Von Low Carb alleine oder von Intermediate Fasting nehme ich nicht automatisch ab. Für Sportler gilt zusätzlich: Bekomme ich mit speziellen Ernährungskonzepten immer noch alle Nährstoffe, die ich brauche? Passt das Nutrient Timing? Also steht mir zur rechten Zeit auch ausreichend Energie zur Verfügung?

Auf jeden Fall sollte man sich gut mit Nährstoffen und Lebensmitteln auskennen, wenn gleich ganze Lebensmittelgruppen aussortiert werden. Denn ich brauche schließlich eine Alternative für die mit den jeweiligen Lebensmitteln aussortierten Nährstoffe.

Was viele vergessen oder gar nicht auf dem Schirm haben, ist das Thema Darm. Wird die Ernährungsweise gravierend geändert (andere Nährstoffe, andere Mahlzeitenfrequenzen, anderes Volumen von Mahlzeiten), so hat das auch Einfluss auf die Arbeit der Verdauungsorgane.

Bio-Bäckerei Brot
Kein Brot heißt nicht automatisch weniger Gewicht, gibt Julia zu bedenken

Sind Gels nur was für Wettkämpfe oder sollten wir sie auch bei langen Belastungen einsetzen? Und gehen zur Not auch Gummibärchen?

Gels sind nur eine Möglichkeit von vielen. Es geht um einen Nachschub an Kohlenhydraten. Anstelle eines Gels könnte man auch Gummibärchen nutzen. Einige Hersteller bieten sogar spezielle Gums für unterwegs an. In vielen Gels ist neben Einfach- und Zweifachzuckern auch Maltodextrin enthalten – das wäre im Wettkampf wiederum ein kleiner Bonus im Vergleich zum herkömmlichen Gummibärchen.

Wer mit moderater Geschwindigkeit unterwegs ist und Zeit und Lust zum Kauen hat, bekommt über diverse Riegel oder Trockenfrüchten und Nüssen (Studentenfutter) auch seinen Energienachschub. Die gute alte Banane nicht zu vergessen.

Als schnell wirksame Notration bietet sich ein Gel natürlich an – zumal es nur sehr wenig Platz in der Trikottasche beansprucht und selbst einen längeren Transport bei Hitze gut verträgt.

Rad Ernährung Gummibärchen
Gummibärchen gibt es fast überall und liefern den wichtigsten Brennstoff: Kohlenhydrate

Was ist von hochdosierten Kohlenhydratdrinks zu halten?

Es gibt gewisse Grenzen für die Aufnahme von Kohlenhydraten aus dem Darm ins Blut. Je nach Kohlenhydratart sind 60 bis 80 Gramm pro Stunde auf Anhieb für einen gesunden Darm gut machbar. Sollen größere Kohlenhydratmengen pro Stunde aufgenommen werden, sollte man seinen Darm vorher schrittweise daran gewöhnen. Zusätzlich kommt’s auf die richtige Kohlenhydratmischung an.

Grundsätzlich sollte man sich bewusst machen, dass die Aufnahme von Kohlenhydraten insgesamt zu betrachten ist. Wie viele davon möchte ich pro Stunde aufnehmen und wie möchte ich das tun – über Gels, Riegel, und/oder Getränke? Am Ende sollte alles zusammenpassen. Viel hilft nicht automatisch viel.

Rad Ernährung Schokoriegel
Es muss nicht immer das spezielle Sport-Gel sein, Schokoriegel sorgen auch für Energie

Muss man wirklich Elektrolyte zuführen?

Wenn reichlich Schweiß verloren wird: ja. Und zwar Natrium beziehungsweise Salz. Denn ein Defizit an Natrium führt zu spürbaren Leistungseinbußen. Muskelkrämpfe während der Belastung sind häufig Ursache eines Natriummangels. Gerade bei Hitze ist ausreichend Natrium wichtig.  

Größere Mengen an Magnesium oder Calcium sind dagegen eher Ballast für den Darm als Nutzen für die Muskulatur. Hier ist es sinnvoller, eventuelle Löcher vorher zu stopfen. Und dann im Nachhinein die mit dem Schweiß verlorenen Mineralien dem Körper wieder zuzuführen. 

Alkoholfreies Weissbier
Auch in vielen alkoholfreien Bieren stecken Elektrolyte

Oft ist es notwendig, sich bei langen Radtouren an der Tankstelle zu versorgen. Welche Produkte sollte man dort wählen?

Eine Mischung aus Kohlenhydraten und Protein mit moderatem Fettanteil ist strategisch klug. Sprich belegte Brötchen oder Sandwiches bieten sich grundsätzlich an. Je nachdem, wie groß die (Energie-)Not ist, wäre Kakaomilch oder Saft, aber auch Cola eine schnelle Zuckerquelle. Wenn’s Obst gibt, wäre das noch eine Option (Banane, Apfel oder ähnliches).

Für unterwegs (als Notration) könnte man noch einen Nuss-Frucht-Riegel oder gleich die Nuss-Frucht-Mischung kaufen.

Käse Supermarkt
Käse mit Brot tut es nicht nur in der Not, sondern auch an der Tankstelle

Eintagestour vs. Mehrtagestour: Gibt es bei der Ernährung unterschiedliche Schwerpunkte?

Einfacher zu handhaben ist zweifelsohne die Eintagestour. Hier schafft man’s sogar, die Kohlenhydratspeicher bei Bedarf vorher richtig gut aufzufüllen. Das bietet sich dann umso mehr an, wenn einige Höhenmeter geplant sind und zusätzlich ein flottes Tempo auf dem Programm steht.

Auf Mehrtagestouren gelingt es nicht mehr, die Glykogenspeicher umfangreich aufzufüllen. Das geschieht nur noch anteilig. Das heißt, ich müsste mich an die Gegebenheiten anpassen und die Geschwindigkeit bei Bedarf moderat gestalten, damit der Fettstoffwechsel eine Chance hat und auf diese Energiereserven zurückgegriffen werden kann. Die Verpflegung unterwegs bekommt eine höhere Bedeutung und wird umso wichtiger, wenn wiederum einige Höhenmeter warten.

Weintrauben Supermarkt
Trauben enthalten ordentlich viele Kohlenhydrate, die man sich am Abend einer mehrtägigen Tour schnell noch einverleiben kann, um die Glykogenspeicher wieder auffüllen zu können

Das Thema Eiweiß spielt ja vor allem während der Regeneration eine entscheidende Rolle. Gilt das auch während mehrtägiger Belastungen? Oder anders gefragt: Hilft auf einer großen Tour besonders eiweißreiche Nahrung am Abend, um besser zu regenerieren?

Ja, definitiv. Sowohl abends nach der Tour als auch morgens vor der Tour gehören Proteinquellen neben Kohlenhydraten auf den Teller. Je nachdem, was verfügbar ist und was einem schmeckt, bieten sich Fleisch, Fisch, Hülsenfrüchte, Käse/Quark oder Eier an.

Um noch ein paar Kohlenhydrate für den nächsten Tag abzubekommen, könnte man die gemischte Mahlzeit mit Obst oder Eis ergänzen und parallel auf zuckerhaltige Getränke zurückgreifen. 

Joghurt
Eiweiß spielt besonders bei der Regeneration eine wichtige Rolle

Über Julia Zichner

Julia ist selbst erfahrene und begeisterte Sportlerin. Regelmäßig schlüpft sie in die Lauf- sowie Radschuhe und verfolgt ambitionierte Ziele. Sie bietet mit ihrem Unternehmen fooducation Ernährungsberatung speziell für Sportler an. Julia ist ausgebildete Oecotrophologin, Fitnesstrainerin und Landeskampfrichterin im Triathlon. In ihrem Podcast “Sport trifft Ernährung” geht sie auf grundlegende und spezifische Fragestellungen zu diesem Thema ein.

Julia Zichner Rennrad
Julia sitzt selbst oft im Sattel und weiß daher nicht nur aus der Theorie, wie wichtig das Thema Ernährung im Radsport ist | Foto: Julia Zichner