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Ein Radjournal von Brügelmann

Rennrad Schaltung: Mechanisch vs. Elektronisch

Zwei Sättel, eine Meinung: Pro/Contra Elektronische Schaltung

Zwei Sättel, eine Meinung: Pro/Contra Elektronische Schaltung

Schaltung am Rennrad: Lieber neueste Technik oder traditionelle Mechanik?

Brügelmann Blog 26. August 2020 9 min.

Die Diskussion generell erinnert sehr an die um E-Bikes, doch steckt in der Kontroverse um elektronische Schaltungen doch noch ein wenig mehr. Es geht nämlich nicht um generell verschiedene Grundsätze, sondern eher um den Fortschritt im Detail. Im Prinzip lässt sich die elektronische Schaltung am Fahrrad fast mit der Automatik-Schaltung beim Auto vergleichen. Für beides gibt es Fürsprecher und Verweigerer und für beide Systeme fällt der Satz: „Wenn du einmal damit gefahren bist, willst du nichts anderes mehr“. Seit 2009 werden kommerziell elektronische Schaltungen am Fahrrad verbaut und seit dem müssen sich Biker die Frage stellen: Per Knopf auslösen oder via Hebel dem Bowdenzug geben?

Kabelsalat oder Wäscheleine? Optisch bringt das E bei der Schaltung auf jeden Fall Vorteile.

Natürlich gibt es objektive Vorteile, die für das neue elektrische System sprechen. Zum einen ist der Schaltvorgang sehr viel präziser. Sowohl für den Schalter, als auch Schaltwerk und Umwerfer. Des Weiteren wird automatisch die beste Kettenlinie gewählt, der bekannte „Zwischengang“ vorn am Umwerfer muss also nicht mehr bemüht werden. Dazu kommt, dass der Schaltprozess für den Fahrer viel einfacher ist, da er nur noch tippt, statt wie vorher rüberzuziehen. Nicht zuletzt die Optik profitiert klar von einer elektronischen Schaltung, denn mindestens eine „Wäscheleine“ am Lenker fällt weg. Die Kehrseite ist natürlich, dass eine elektronische Schaltung komplizierter ist, wieder ein Akku mehr geladen werden muss, die Systeme teurer sind und es auf einer Tour wesentlich schwerer ist, an Ersatzteile zu kommen.

Neben den objektiven Argumenten für oder wider elektronische Schaltungen gibt es natürlich auch immer die persönliche Seite bei so einer Debatte. Wir haben deswegen zwei Menschen gefragt, die in ihrem Leben schon einige Schaltvorgänge getätigt haben und zur Frage „Elektronische Schaltung – Ja oder Nein“ eine klare Antwort finden:

Pro elektronische Schaltung mit Maximilian Topp von SRAM

Maximilian Topp arbeitet für SRAM und kennt sich deswegen bestens aus mit Schaltungen. Für ihn geht nichts über eine elektrische Schaltung. Foto: privat

Mein Opa hat immer zu mir gesagt: „Wenn weniger dran ist, kann auch weniger kaputt gehen”. Da hat er ja nicht ganz unrecht. Wenn wir uns aber die Anforderungen an moderne Fahrradantriebe – insbesondere im Mountainbike-Bereich – anschauen, kommen wir mit dieser Einstellung sehr schnell an einen Punkt großer Limitation. Wir wünschen uns heutzutage eine maximale Bandbreite, komfortable Gangschritte, weniger Schalter und Bauteile, geringes Gewicht und maximal robust soll der Antrieb bitteschön auch noch sein. Das alles stellt uns die Industrie ja mittlerweile auch auf sehr hohem Niveau bereit, 1×12 Gänge und 520 Prozent Bandbreite sind auch im Einstiegssegment Standard geworden. Jetzt kommen die aber schon wieder mit der nächsten Neuerung daher: Elektronisch per Funk zu schalten ist nun das Maß aller Dinge.

Braucht es das denn wirklich? Im Prinzip braucht der Mensch zum Leben nicht besonders viel. Es haben sich mittlerweile allerdings so viele kleine, elektronische Helferlein in den Alltag eingeschlichen, welche man nicht zwingend braucht, die alles aber leichter machen.

Taster statt Hebel: Rein optisch lässt sich nur durch den fehlenden Bowdenzug erkennen, um welche SRAM Force es sich handelt. Beim Schalten ist der Unterschied dann aber deutlich spürbar.

Ich hatte das Vergnügen, vor anderthalb Jahren am MTB auf eine elektronische Funkschaltung mit 1x 12 Gängen umsteigen zu können. Was sich bei meinen Ausfahrten in den ersten Tagen noch ungewohnt und witzig angefühlt hatte, wurde recht schnell zu einem neuen „Schaltgefühl”, an das ich mich schnell gewöhnt hatte. Schalten war plötzlich wie die Wiederwahltaste am Telefon, statt immer wieder neu die Nummer einzugeben. Alles gut soweit, sollte man denken. Aus den Schuhen hat es mich dann aber gehauen, als ich im Selbstversuch wieder auf dieselbe, aber mechanische Schaltung mit Seilzug „down-gegraded” habe. Wenn man etwas nicht mehr hat, merkt man schlagartig den Unterschied und alle Vorteile, welche vorher in Fleisch und Blut übergegangen sind und zur Selbstverständlichkeit wurden. Auf einmal musste ich wieder meinen Kopf beim Schalten benutzen, sensibel schalten, bedenken und abwägen ob der Gang rechtzeitig für den schnellen Antritt rein flutscht. Speziell wenn es, zum Beispiel in einem Endurorennen, hektisch wird und man mit dem Puls eh schon im roten Bereich ist, macht es für mich einen Riesenunterschied, ob ich einfach per Klick schalte oder Daumenkraft und Gefühl mit einbringen muss. Die neuen elektronischen Antriebe schalten so unglaublich schnell und präzise – DAS möchte ich auf keinen Fall mehr missen, weder am Mountainbike noch am Rennrad. Sind wir auch mal ehrlich: So ein cleanes Cockpit nur noch mit zwei Bremsleitungen ist auch optisch unschlagbar.

Der kleine Akku bringt mehr Schaltkomfort, dafür muss er aber auch aufgeladen werden

Dazu kommen noch all die Vorteile, welche man erst über die Zeit zu schätzen weiß: kein Verstellen der Schaltung, kein Schaltzug, der sich längt, keine Kabel oder Außenhüllen, die verdrecken, oder im Rahmen klappern, die einfache und schnelle Montage ohne Schaltzüge zu verlegen, megapräzise Einstellung während der Fahrt und die größere Robustheit der Komponenten.

Für manch einen vielleicht ein Manko, Elektronik braucht natürlich Strom. Hier investiere ich allerdings lieber alle zwei, drei Wochen eine Stunde in das Laden eines 25 Gramm kleinen/leichten Akkus, genieße aber dafür alle Vorteile der Elektronik. Ein zweiter Akku im Rucksack oder Autohandschuhfach hilft auch allen vergesslichen Fahrern, immer genug „Saft” zu haben. Es ist alles eine Sache der Gewöhnung – das Smartphone und die Smartwatch täglich zu laden, oder den Computer am Bike unter Strom zu halten, gelingt ja auch jedem Nutzer. Mein Urteil ist klar, ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, wieder in die kabelgebundene Steinzeit der Fahrradantriebe zurück zu kehren. Ich habe nur Vorteile durch die Elektronik und kann wirklich jedem ans Herz legen, es einmal auszuprobieren. Aber Vorsicht: Suchtpotential!

Zur Person

Maximilian Topp ist PR Coordinator im Bereich Mountainbike bei SRAM und verantwortlich für ganz Europa. Seine Leidenschaft gilt dementsprechend Trails, Matsch und dicken Reifen.

Contra elektronische Schaltung mit Juliane Schumacher, dem Radelmädchen

Juliane Schumacher ist in Berlin zu Hause und betreibt von dort aus den Blog radelmaedchen.de. Foto: privat

Das Gefühl der Freiheit und Ungebundenheit beim Radfahren ist nach wie vor ungebrochen. Jeder Pedaltritt bringt mich weiter voran, trägt mich durch die Landschaft. Ich spüre den Wind, die Anstrengungen, die mein Körper unternehmen muss, wenn ich einen Berg hochstrampeln muss oder die Leichtigkeit des Seins auf einer langen Abfahrt. Ich habe mich daran gewöhnt zu schalten, intuitiv den Gang zu wechseln, sobald ein Anstieg in Sicht kommt oder, wenn die Räder beschleunigen und ich noch etwas schneller rollen möchte. Oft ist das einfach eine Sache des Gefühls.

Ich spüre, wie meine Finger die Schalthebel durchdrücken, mal stärker, wenn etwas mehr Last am Berg auf den Zügen liegt, mal leichter, wenn ich bergab fahre. Ich fühle und höre es gegebenenfalls sogar, wie die Kette sich bei einer gut eingestellten Schaltung von einem Ritzel auf das nächste bewegt. Ich mag dieses Feedback. Es gibt mir eine Bestätigung, dass genau das passiert ist, was ich mit meiner Schaltbewegung auslösen wollte – und kurz danach macht es sich auch in den Beinen bemerkbar.

Hebel statt Taster: Bei der mechanischen SRAM Force Schaltung ist schon etwas mehr Kraft beim Schalten gefragt.

Das Schalten soll nun mit einer elektronischen Schaltung deutlich einfacher sein und glatter laufen. Ehrlich gesagt habe ich über das Verbauen dieser, an einem meiner eigenen Fahrräder, noch nie nachgedacht. Ich bin sie schon an Testrädern gefahren, aus Neugier und weil ich wissen wollte, ob ich dem Hype folgen kann oder möchte. Ja, geht schon. Das Schalten funktioniert damit einfach, aber für meinen Geschmack fast schon zu unauffällig. Habe ich jetzt schon geschaltet? Scheinbar noch nicht genug. Ich spüre es in den Beinen, kaum jedoch in den Fingern. Da gibt es wenig Feedback über den Gangwechsel. Dass dieser so leicht abläuft, mögen viele an elektronischen Schaltungen. Für mich fühlt es sich … leer an.

Im Hinterkopf entsteht der Gedanke, ob ich noch mehr Klimbim und Technik am Fahrrad haben möchte und noch einen Akkustand, den ich berücksichtigen muss. Je nach Hersteller sogar mehrere, wenn die Schaltung per Funk funktionieren soll. Wie praktisch, keine Kabel! Dafür brauche ich mehrere Batterien in den einzelnen Komponenten der elektronischen Schaltung und eventuell sind es sogar Batterien, die ich nicht aufladen kann. Wie unkompliziert und grün ist Radfahren noch, wenn ich selbst an diesem ursprünglich von mir selbst angetriebenen Fortbewegungsmittel überall Motoren, Akkus und Batterien verbaue? Mir reichen mein Navi, das Smartphone und die Kamera schon aus.

Nicht modern sondern eher klassisch: Bei Stahlbikes läuft der Bowdenzug für das Schaltwerk oft sogar außen und sticht dann optisch stark hervor, Geschmackssache.

Das Wichtigste ist, dass die Schaltung gut eingestellt ist. Wenn das erledigt ist, dann denke ich im besten Fall über viele hundert Kilometer nicht mehr über den Schaltvorgang nach. Noch nie hatte ich Probleme mit den Schaltzügen an sich. Und wenn es doch mal passieren sollte, dann ließen sich Ersatzteile schnell besorgen. Die Wartung und Pflege der mechanischen Schaltung ist wohl in jedem Fahrradladen weltweit bekannt und Verschleißteile sind meist schnell beschaffbar. Das ist sehr bequem und gibt mir auf Reisen auch eine gewisse Sicherheit. Bei einem Kabelbruch oder einem Defekt einer elektronischen Schaltung kann das unterwegs schnell mal anders aussehen. Dann war es das mit dem bequemen Schalten und man kommt nur noch eingeschränkt voran.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert? Keine Ahnung. Wohl ähnlich hoch, wie das Reißen eines Schaltzuges, wenn das Fahrrad nicht regelmäßig gecheckt wird oder von vornherein ein Defekt vorlag.

Vielleicht werden die Verfügbarkeit von Teilen und die Kenntnisse über die Elektronik irgendwann auch zu einem Standard, wenn sich diese Art der Schaltung noch weiter verbreitet hat. Doch das wird nicht geschehen, insofern sich nicht ein wichtiger Faktor ändert: der Kostenfaktor.

Für Jule steht fest, an ihre Bikes kommen keine elektronischen Schaltungen. Foto: privat

Ich muss schon schlucken, wenn ich über den Preis eines hochwertigen Gravelbikes nachdenke. Individualisierungen, Qualität und Gewicht machen sich da schnell bemerkbar. Eine elektronische Schaltung kostet ungefähr so viel, wie der Durchschnitt der Bevölkerung nicht mal für ein Komplettrad ausgeben würde (Ausgabebereitschaft rund 865 Euro, laut BMVI Sinus Fahrrad Monitor 2019)! Das ist nicht einfach ein Komfort-Upgrade für die nächste Ausfahrt, das ist eine Investition! Auch Ersatzteile können schnell ins Geld gehen.

Sicherlich kann die elektronische Schaltung im Sportbereich sinnvoll sein und auf langen Touren eine Erleichterung des Schaltvorgangs ermöglichen. Doch ist es diese hohe zusätzliche Ausgabe wert oder nicht doch einfach nur ein netter, aber nicht wirklich notwendiger Luxus?

 Zur Person

Juliane Schumacher betreibt, beschreibt und berät auf dem Blog Radelmädchen mit Produkten, Abenteuerberichten und Tipps rund ums Thema Fahrrad. Der Fokus von Jule liegt dabei auf Gravel und Bikepacking, aber auch auf urbaner Mobilität.