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Ein Radjournal von Brügelmann

Shimano Dura-Ace R9200 Komplettgruppe

Das (fast) drahtlose Dutzend

Das (fast) drahtlose Dutzend

Die 12-fach Dura-Ace- und Ultegra-Gruppen von Shimano sind da!

Brügelmann Blog 31. August 2021 7 min.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch Shimano beginnen würde, die Rennradgruppen auf 12-fach umzustellen. SRAM hat schon seit gefühlten Ewigkeiten einen Gang mehr als Shimano, Campagnolo ist bereits bei 13 Gängen angekommen und Shimanos MTB-Gruppen von der XTR bis zur Deore bieten seit zwei Jahren schon 12 Schaltschritte. Wir mussten allerdings etwas länger warten, bis der Schleier auch für schmale Reifen gelüftet wurde, denn zur schon aus früheren Produktzyklen bekannten Gründlichkeit des japanischen Teileriesen kam auch noch eine Pandemie.

Mitte Juni war allerdings klar, dass Shimano sich in Richtung Marktreife seiner 12-fach-Gruppen fürs Rennrad bewegt. Auf der Baloise Belgium Tour stand ein Rad des Team DSM mit Komponenten herum, auf denen betont unauffällig alle Logos mit schwarzem Klebeband abgedeckt waren. Die Tatsache, dass das Rad frei zugänglich war und ein Fotograf sogar ausgiebig Fotos davon machen konnte, ließ eine gewisse Absicht vermuten. Heute wissen wir endlich, was unter dem Klebeband steckte.

Was ist an der Dura-Ace 9200 dran?

Keine Überraschung: 12 Gänge

Die neue Dura-Ace hat jetzt eine 12-fach-Kassette und damit einen Gang mehr als ihre Vorgängerin. Nach zwei Generationen mit 11 Ritzeln wäre alles andere auch ein Skandal gewesen. Ein 10er- oder gar ein 9er-Ritzel sucht man allerdings vergebens – die Kassetten werden nur in den Abstufungen 11-28, 11-30 und 11-34 angeboten. Das geht zu Lasten der maximalen Bandbreite, spart aber auch einen Umstieg auf andere Kettenblattgrößen vorne und langwierige Diskussionen über Effizienzverluste auf kleinen Ritzeln. Alle Kassetten werden von nur noch einem Schaltwerkmodell mit mittellangem Käfig bedient, das bis zu 34 Zähne verkraftet – eine Ritzelgröße, die auch in der World Tour nicht mehr verpönt ist.  

Shimano Dura-Ace R9200 Antrieb
Der neue Antrieb mit 24 Gängen in seiner ganzen Pracht

Eine (fast) drahtlose Schaltung

Nach dem sensationellen Erfolg von SRAMs Funkschaltgruppen war klar, dass Shimano in irgendeiner Form nachziehen musste (selbst wenn man an modernen Rennrädern vielleicht noch fünf Zentimeter Kabel sehen kann). Die Lösung ist allerdings nur halb drahtlos und reduziert die sichtbare Kabellänge um kein Stück: Die Schalthebel funken die Befehle an das Schaltwerk, das mit dem Umwerfer und einer im Rahmen versteckten Batterie verbunden ist. Das hat natürlich nicht den Wow-Effekt einer komplett ohne Kabel auskommenden, „beep boop“ machenden Schaltung, aber auch einen handfesten Vorteil. Der im Rahmen verbaute Akku ist deutlich größer als direkt am Umwerfer bzw. Schaltwerk angebrachte Akkus jemals sein könnten und hält deshalb länger durch, bevor er nachgeladen werden muss. Die interne Kabelverlegung ist zwar immer noch fummelig, aber muss nur ein einziges Mal erledigt werden. Außerdem dauert sie deutlich kürzer als früher, weil das wegen der engen Biegungen besonders komplizierte Verlegen von Kabeln durch den Lenker (und eventuell auch noch durch Vorbau und Steuerrohr) entfällt.

Shimano Dura-Ace RD-9250 Schaltwerk
Unter der kantigen Oberfläche des Schaltwerks verbergen sich der Empfänger für die Funksignale und der Ladeport für den Akku

Bessere Bremsen

Erklärtes Ziel bei der Entwicklung dieser Schaltgruppe war es, das zugegeben recht nervige Schleifen von Scheibenbremsen nach längeren Bremsvorgängen oder schlechtem Wetter zu minimieren. Durch einen um zehn Prozent erhöhten Abstand der Bremsbeläge in Ruhestellung haben so durch Bremshitze minimal verzogene Bremsscheiben etwas mehr Platz. Auch wenn sich bei Nässe kleine Dreckpartikel in die Bremse verirren, verhaken sie sich nicht mehr so schnell.

Ein weiterer Pluspunkt: Die neue Dura-Ace bekommt Servo Wave spendiert – eine Technik aus dem MTB-Bereich, die schon bei den höherwertigen GRX-Bremshebeln benutzt wurde. Sie sorgt dafür, dass der Hebelweg nicht linear in Bremsleistung umgesetzt wird, sondern zuerst einen größeren Effekt hat und dann schwächer wird. So beißt die Bremse schnell zu und kann nach dem ersten Kontakt von Belägen und Scheibe extrafein dosiert werden.

Etwas überraschend wird auch bei der Dura-Ace 9200 noch eine Felgenbremsvariante angeboten. Große Verbesserungen sollte man hier allerdings nicht erwarten. Sie sind aber auch nicht nötig, denn schon die Bremsleistungen der letzten Felgenbremsgruppen von Shimano waren auf ausgezeichnetem Niveau.

Shimano Ultegra BR-R8100 Vorderbremse
Ja, das ist tatsächlich eine Felgenbremse – allerdings exakt die gleiche, die wir schon kennen unter neuem Namen

Schnellere Schaltung

Was sich schon bei den Bremshebeln abzeichnete, setzt sich beim Schalten fort: Eine Technologie aus dem MTB-Bereich bringt Verbesserungen auf die Straße. Hyperglide+ sorgt für noch sanftere Schaltvorgänge unter Last – eine in der Praxis schon ausreichend bewährte Technik. Du kannst also damit rechnen, noch in der aussichtlosesten Situation mit einem halbwegs sauberen Gangwechsel davonzukommen. Insgesamt sollen Schaltvorgänge hinten satte 60 % schneller passieren.

Die Behauptung hingegen, dass der neu designte Umwerfer noch einmal um 45 Prozent schneller schaltet als sein Vorgänger, muss erst noch in der Realität überprüft werden. Umwerfer aus der Dura-Ace-Serie gelten bereits seit langer Zeit als konkurrenzlose Referenz. Sollten Schaltgeschwindigkeit und -sicherheit noch einmal spürbar zugelegt haben, dann bleibt den Mitbewerbern bald wirklich nichts anderes mehr übrig, als komplett auf Monokettenblätter zu setzen.

Shimano Dura-Ace FD-R9250 Umwerfer
Die Referenz wird noch besser: Unter 100 Gramm, reduzierte Oberfläche und trotzdem um 45 Prozent schnellere Schaltvorgänge

Was ist an der Ultegra R8100 dran?

Um es kurz zu machen: Die neue Ultegra bleibt die kleine Schwester der Dura-Ace und bietet bei einem Mehrgewicht von nur 200 Gramm praktisch die gleichen Features für einen deutlich reduzierten Preis. Die relevanten Neuerungen (12-fach, semi-drahtlos, Hyperglide, Servo Wave, Felgenbremsen) sind alle an Bord, lediglich die (für Normalsterbliche ohnehin nicht besonders sinnvolle) Heldenkurbel mit 53-39 ist aus dem Programm geflogen. Wenn du deine Teile selber bezahlst, bist du mit der neuen Ultegra (jedenfalls auf dem Papier) exakt so gut bedient wie mit der High-end-Lösung. Sie ist wirklich ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst.

Shimano Ultegra R8100 Komplettgruppe
Die Ultegra R8100 schneidet im Vergleich zur Dura-Ace als glasklare Preis-Leistungs-Siegerin ab

Was ist nicht drin

Nachdem die Dura-Ace R9100 (und infolgedessen auch die Ultegra R8000) eher Modellpflege betrieben und nicht mit den ganz großen Innovationen aufwarten konnten, zündet Shimano mit der R9200 und R8100 ein ganz großes Feuerwerk. Nichtsdestotrotz gibt es ein paar Dinge, die auch hier noch fehlen und die mehr oder weniger schmerzlich vermisst werden.

Ein komplett neuer Freilaufstandard

Zugegeben, die Überschrift ist halb gelogen, denn die neue Dura-Ace bringt tatsächlich einen neuen Freilaufstandard mit. Wenn man Shimano kennt, dann kann man sich auch darauf einstellen, dass der im nächsten Jahrzehnt auch in die günstigsten Gruppen durchsickert. Bis dahin ändert sich aber nichts, denn alle neuen Kassetten sind ohne Einschränkungen mit 11-fach-Freiläufen kompatibel. Wieder einmal zeigt Shimano, dass Innovation auch möglich ist, ohne alle paar Jahre neue „Standards“ zu erfinden – eine Einstellung, der man gar nicht genug applaudieren kann.

Shimano Dura-Ace CS-R9200 Kassette
Ein neuer Freilauf – zum Glück passen alle 12-fach-Kassetten auch auf die 11-fach-Freiläufe!

Einfach-Antriebe

Die Kundschaft, die Dura-Ace und Ultegra am Rad hat, fährt sportlich Rennrad und in den allermeisten Fällen muss für diesen Einsatzzweck ein Umwerfer ans Rad. Nichtsdestotrotz brauchen zum Beispiel manche Triathlonräder kein zweites Kettenblatt. Für solche Projekte schaut man mit den neuen 12-fach-Gruppen in die Röhre, denn es gibt weder ein Schaltwerk mit ordentlicher Kettenstabilisierung noch Narrow-Wide-Kettenblätter.

Shimano Dura-Ace FC-R9200 Kurbel Powermeter
Zumindest mittelfristig sind an Rennradgruppen von Shimano zwei Kettenblätter Standard. Das neue Powermeter verspricht übrigens verbesserte 1,5 Prozent Genauigkeit. Ob hier die Technik von Pioneer drinsteckt?

Mechanische Schaltungen

Die bitterste Pille für Leute, die Tradition zu schätzen wissen, kommt zuletzt: Weder die neue Dura-Ace noch die neue Ultegra kommen mit einer mechanischen Schaltoption. Auf absolutem Top-Level sind mechanische Schaltungen schon seit Jahren ausgestorben, aber in Hobbykreisen war die mechanische Ultegra wahrscheinlich die beliebteste Schaltgruppe überhaupt. Rein funktionell ist an der Entscheidung pro Elektronik nichts auszusetzen – wenn du unbedingt mechanisch schalten möchtest, dann erfüllt die R7000 105 auch höchste Anforderungen. Trotzdem gibt es immer noch Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen (Gewicht, Preis, Wartung, …) mechanische Schaltungen bevorzugen. Für die wird zumindest im High-end-Bereich das Angebot kleiner und kleiner.

Shimano Dura-Ace R9200 Laufräder
Keine mechanische Schaltungen, dafür aber noch neue Laufräder für Schlauchreifen? Die dürften weniger ein Angebot für den Massenmnarkt als vielmehr ein Zugeständnis an die zahlreichen unterstützten Teams sein, die (noch) nicht auf Schlauchreifen verzichten möchten.

Shimano macht mit der Dura-Ace R9200 und der Ultegra R8100 einen Riesenschritt nach vorne, ohne dabei die Rückwärtskompatibilität zu vernachlässigen. Ab Anfang Oktober werden die Produkte verfügbar sein – wir freuen uns schon auf die erste Testfahrt!