Ein Rennrad ist ein Rennrad, richtig? Nein! Mit Road Plus (auch 650b genannt) geht einiges mehr. Wie viel? Wir haben’s ausprobiert! Seit Anbeginn der Zeit gilt, wann immer es um die richtige Anzahl von Fahrrädern geht, die n+1 – Regel. Dabei ist n die Anzahl der aktuellen Bikes im eigenen Stall. Doch jetzt kommen Fahrräder daher, die diese sicher geglaubte Formel in Frage stellen. Sie gehören zur Kategorie „Road Plus“ und sehen erstmal aus wie gewöhnliche Rennräder. Was bei diesen Bikes dennoch anders ist und ob die neue Rechnung n=1 aufgeht, verraten wir euch im folgenden Beitrag.
Road Plus ist …
Das Konzept von Road Plus
Die Idee hinter dem Begriff Road Plus ist schnell erklärt: Der Spaß geht weiter, auch wenn der Asphalt endet. Viele Straßen und Wege sind für übliche Rennräder tabu und das aus dem einfachen Grund zu geringer Reifenbreiten. Wer über Schotter, Waldwege und Offroad-Pisten fahren möchte, ohne komplett durchgeschüttelt zu werden, der benötigt vor allem eins: Federung. Klar, wer mit 25 Millimeter breiten Reifen mal einen Kilometer durch den Wald fährt, dem fällt nicht gleich die Brille aus dem Gesicht. Aber wer beim Planen von längeren Touren und Ausfahrten das komplette Potenzial des Wegenetzes ausschöpfen will, kommt auf schmalen Rennradpneus nicht wirklich weit. Auch um dem motorisierten Verkehr zu entgehen, bieten sich Routen neben den asphaltierten Straßen an. Natürlich gibt es auch noch viele weitere Anwendungsfälle, die dazu führen, vom Asphalt abzubiegen.
Genau an dem Punkt setzt das Konzept Road Plus an. Es verschafft dir die Freiheit, auf fast allen Wegen mit einem einzigen Bike Spaß zu haben. Aber wie sehen diese Fahrräder denn genau aus, die flottes Rennrad und flinkes Mountainbike zugleich sein wollen? Sie alle eint die Kernkompetenz, neben den üblichen 700c/28 Zoll-Laufrädern auch noch solche mit den Abmessungen 650b/27,5 Zoll aufnehmen zu können. Schlüsselpunkt dabei ist die Scheibenbremse, die einen einfachen Tausch zwischen verschiedenen Laufradgrößen ermöglicht, weil die Bremsscheiben anders als die Felgen auch bei unterschiedlichen Laufradgrößen immer am gleichen Ort sind. Was aber soll das bringen? Um diese Frage ganz einfach beantworten zu können, vergleichen wir die beiden Laufradgrößen mit aufgezogenen Mänteln und sehen: Road Plus bringt vor allem mehr Reifen-Volumen und damit mehr „Federweg“. Durch die dickeren Pneus auf den 27,5 Zoll-Felgen gelangt man am Ende auf einen sehr ähnlichen Radumfang wie bei auf 28 Zoll mit schmaleren Reifen. Hinzu kommt außerdem die Möglichkeit, mit viel geringerem Luftdruck fahren zu können, wodurch man ebenfalls einen massiven Zugewinn an Komfort erfährt.
Wenn man jetzt noch einen Schritt weiter geht, dann kann man auch sagen: Ein Road Plus Bike mit zwei Laufradsätzen ist der absolute Allrounder. Es setzt die n+1 – Regel nicht nur außer Kraft, sondern definiert sie komplett neu: n=1. Im Sommer lassen sich zügige ausgedehnte Fahrradtouren machen, Pässe bezwingen und sogar Rennen fahren. Im Winter lassen sich dann mit dem zweiten Laufradsatz entspannt die schmutzigen Wege beackern. Da der Wechsel von einem Satz Laufrädern und damit von zwei verschiedenen Einsatzbereichen aber auch nicht mehr als fünf Minuten dauert, kann das Setup auch täglich ändern. Heute Wald- und Wiesenwege, Trails und Offroad-Spaß, morgen eine Tour mit den Rennradgruppe. Mit einem Road Plus Bike und zwei Laufradsätzen kein Problem.
Passt Road Plus auch zu dir?
Nun stellt sich aber die Frage: Ist das was für jede*n und jedes Bike? Zweimal nein: Wenn du zu 90 Prozent auf Asphalt und zu zehn Prozent auf festen, gut ausgebauten Wegen unterwegs bist, dann sind die standardmäßnigen 700c/28-Zoll-Laufräder höchstwahrscheinlich die beste Wahl. Willst du aber auch mal über unbekanntes Terrain oder bewusst ruppigere Untergründe unter die Reifen nehmen? Dann lohnt sich für dich die Anschaffung eines solchen Bikes. Es sei aber gesagt, dass die Auswahl dieser Road-Plus-Fahrräder im Verhältnis relativ gering ist.
Bis hierhin können wir also festhalten, dass Road Plus sich auf die 650b/27,5-Zoll-Laufräder bezieht, die das Bike durch höheres Luftvolumen und dadurch weniger Luftdruck und mehr Dämpfung offroad-tauglich machen. Ändern sich dadurch aber auch noch andere Faktoren? Auf jeden Fall! Denn neben dem Umfang, ist auch die Auflagefläche der Road Plus Reifen um einiges breiter als bei dünneren Rennradreifen. Dadurch bekommst du ordentlich Grip. Das macht sich auch beim Fahrgefühl und der Spritzigkeit bemerkbar. Das ganze Bike fährt sich viel gemütlicher und ist weniger agil als mit 700c/28-Zoll-Laufrädern.
Wenn ein Fahrrad also beide Arten von Laufrädern aufnehmen kann, ist es dann nicht das ultimative Bike, da es sowohl On- als auch Offroad funktioniert? Und noch viel weiter gefragt, braucht man dann überhaupt noch andere Fahrräder? Ist die N+1 Regel also wirklich außer Kraft gesetzt? Um diesen Fragen nachzugehen, haben wir uns einfach mal ein Road Plus Bike geschnappt und die Probe aufs Exempel gemacht. Das Kona Rove NRB DL soll nun für Antworten sorgen.
Unser N: Das Kona Rove NRB DL
Aufbau Kona Rove NRB DL
Das Kona Rove NRB DL ist so, wie es aus dem Karton gesprungen kommt, auf den ersten Blick auf jeden Fall schon mal das Schweizer Taschenmesser unter den Fahrrädern. Es bietet einen robusten Aluminiumrahmen und eine Carbongabel in einem outdoor-tauglichen mattgrün. Hinzu kommen die 650b-Laufräder mit 47 Millimeter breiten Reifen von WTB, 12-mm-Steckachsen und eine komplette GRX Gravel-Schalt-Gruppe von Shimano. Dazu sehen wir an verschiedenen Stellen des Rahmens extra Bohrungen und Ösen. Zusammengefasst steht dem ersten Eindruck nach die eierlegende Wollmilchsau vor uns.
Genau diesen Eindruck verstärkt das erste Platznehmen auf diesem Road Plus Bike. Das Originalsetup gleicht eher einem Gravelbike und wird von Kona daher auch in dieser Kategorie eingeordnet. Man sitzt so lässig, dass man das Bike auch auf echten Trails bestens beherrschen kann, aber so sportlich, dass man auch auf schnurgeraden Schotterwegen oder sogar mal auf Asphalt schnell vorankommt. Ein echter Allrounder mit klaren Offroadgenen, die hauptsächlich von den breiten Reifen herrühren. Selbst die quasi profillosen Reifen machen im Gelände richtig Spaß, solange es trocken beziehungsweise nicht zu „cremig“ wird und man mit relativ wenig Druck (um die zwei Bar) unterwegs ist. Selbst auf feuchten Wurzeln oder Felsen ist der Grip erstaunlich. Nur weiche Matsche können sie gar nicht ab, dann wird es echt glitschig.
Was so einem Allrounder ebenfalls nicht fehlen sollte, sind diverse Schraubpunkte für Bikepacking Zubehör und/oder Schutzbleche. Diese sind am Rove, wie eingangs erwähnt, in großer Anzahl vorhanden. Es gibt drei Flaschenhalter-Aufnahmen und selbst die Gabel ist großzügig mit Gewindeösen ausgestattet. Gleich drei Schraubpunkte pro Seite gibt es. Die neue GRX Schaltgruppe von Shimano bietet vorn zwei Kettenblätter (30 und 46 Zähne) und hinten elf Ritzel mit elf bis 34 Zähnen. Top: Die breiten Auflageflächen des GRX Brems-/Schaltgriffes. Diese steuern neben der Schaltung die kraftvollen Scheibenbremsen mit jeweils 160 mm Durchmesser hinten und vorne an. So weit, so gut, aber wie schlägt sich das Road Plus Konzept nun im Praxistest?
Testfahrt
Unsere Testfahrten waren naturgemäß immer ein Mix aus einer Vielzahl von Untergründen. Begonnen haben wir immer auf Asphalt, je nach Länge der Tour wurden daraus Wald- und Wiesenwege, leichte Trails und auch ordentliche Schotterpisten. Auf der Straße merkten wir die nicht knall-voll aufgepumpten Reifen sofort. Im Gegensatz zu sonst merkten wir von den kleinen Rissen und Schäden des Asphalts rein gar nichts. Kopfsteinpflaster wurde ebenfalls einfach so vom Reifen absorbiert. Auf glatter Fahrbahn fühlte sich die Kombination aus komfortabler Sitzhaltung und komfortablen Breitreifen eher nach Tourenrad, als nach Rennrad an. Sportlich, aber gediegen, so könnte man das Fahrgefühl zusammenfassen.
Je holpriger der Untergrund wurde, um so mehr änderte sich dieses Gefühl. Auf moderaten Schotterpassagen glitten wir noch arglos dahin. Tatsächlich war kaum ein Unterschied zur Straße spürbar. Aber auf Wirtschafts- und Waldwegen mit Löchern und Wurzeln merkten wir dann schon, wie viel Arbeit das Kona Rove verrichtete, um uns weiter ein angenehmes Gefühl zu geben. Wir mussten auch unseren Beitrag leisten: hier und da reagieren, ausweichen und aufpassen. Es war wirklich ein Riesenspaß, das flinke Kona durch den Wald zu scheuchen und echtes Teamwork aus Mensch und Maschine noch dazu.
Bevor abschließend ein Urteil zum Konzept Road Plus treffen wollten, mussten wir das Kona aber natürlich auch noch mal an seine Grenze bringen. Denn eins ist klar: Ein richtiges Mountainbike kann so ein Road Plus Fahrrad natürlich nicht ersetzen, oder? Wir fuhren deswegen einige Trails mit dem Rove rauf und runter. Am Ende kamen wir zwar immer oben beziehungsweise unten an, aber das war harte Arbeit. Kurioserweise fühlte es sich aber überhaupt nicht so an. Klar ging es ordentlich zur Sache und ein 29er Fully hätte wesentlich weniger Kraft gekostet. Besonders bei Wurzelteppichen und steinigen Passagen wurden wir richtig rangenommen. Aber dadurch war es im Endeffekt auch eine größere Leistung, den Trail bewältigt zu haben und deswegen vielleicht danach auch ein größeres Glücksgefühl.
650b plus 700c ergibt wahnsinnig viele Möglichkeiten. Das Kona Rove NRB DL funktioniert nicht nur mit breiten 650b-Schlappen, sondern lässt sich ziemlich einfach in ein deutlich schnelleres Rennrad verwandeln, indem man 700c-Laufräder installiert. Für Asphaltjunkies ist das Konzept Road Plus allerdings deswegen genauso wenig etwas wie für hartgesottene Trailjäger. Wer sich in diese Kategorien einordnet, der bleibt vermutlich besser beim Rennrad beziehungsweise Mountainbike. Für alle anderen dazwischen ergibt sich mit der Möglichkeit, verschiedene Laufradgrößen zu fahren, die Riesenchance, das Beste aus beiden Welten zu erfahren. Das öffnet nicht nur eingestaubte Schubladen, sondern schafft auch neue Horizonte und Perspektiven.