Unser werter Kollege Alex hatte es in den guten Vorsätzen für 2020 schon angekündigt und so langsam wird es für ihn ernst. Am 15. Februar startet er mit seinem Kumpel Marc in Marrakesch das Atlas Mountain Race, ein Bikepackingrennen quer durchs marrokanische Atlasgebirge. Nils Längner hat mit den beiden vorher schon mal ein paar Fotos geschossen und Alex verrät uns im Interview, wie er sich vorbereitet hat, was er alles mitnimmt und wovor er am meisten Angst hat.
Fangen wir doch einfach mal damit an, dass du dich und deinen Teamkollegen vorstellst.
Der Esel nennt sich immer selbst zuerst, also: Mein Name ist Alex und ich bin vor ein paar Tagen 40 geworden. Ich habe zwei Kinder und bin verheiratet. Beruflich bin ich als Brand Manager für unsere Fahrradeigenmarken (wie zum Beispiel Votec) tätig. In Sachen Fahrräder habe ich eine gewisse Historie, ich bin früher Mountainbike XC-Rennen gefahren und habe da auch kleine bis mittlere Erfolge einfahren können. Dadurch war ich eineinhalb Jahre in der Nationalmannschaft und das Fahrradfahren hat mich seitdem nie wirklich losgelassen. Offiziell habe ich 2002 aufgehört, MTB-Rennen zu fahren, bin dann aber noch zwei Jahre lang Straßenrennen und Cyclocross gefahren.
Mein Teamkollege Marc ist mit 34 Jahren ein bisschen jünger als ich. Er arbeitet als Produktmanager bei Merida und ich habe ihn mehr oder weniger aufs Fahrrad gebracht. Wir haben beide viele bunte Bilder auf der Haut, gehen zum gleichen Tätowierer und ich habe damals mein Bahnrad verkaufen wollen. Über den Tätowierer sind wir zusammengekommen. Er ist eigentlich Kletterer und kam dann über mein Bahnrad ins Fahrradfahren rein. Mittlerweile hat das dazu geführt, dass er eine Lizenz gelöst hat und ab und zu Straßenrennen mitfährt. Ich habe nicht lange überlegt, wer das Ding mit mir fahren kann, weil Marc auch durchaus sportlich ambitioniert ist und wir uns super verstehen.
Dann erzähl doch mal, was das Atlas Mountain Race für ein Rennen ist.
Das Atlas Mountain Race ist für uns beide das erste Hineinfühlen in die Welt des self-supported Bikepackings. Wir haben das beide vorher noch nie gemacht. Ich bin schon alle möglichen Formen von Rennen gefahren, aber so eine Aktion habe ich noch nicht gestartet. Beim AMR haben einfach die Eckdaten gut gepasst. Die Strecke ist 1100 Kilometer lang und nach Marokko fliegt man nur 3,5 Stunden. Das passt also alles in einen zeitlichen Rahmen, der mit der Familie vereinbar ist. Die Idee ist es, im Team durchzufahren und Erfahrung zu sammeln. Wie kommen wir mit so langen Distanzen zurecht? Wie ist es, mit Gepäck zu fahren? Wie kommen wir über die Strecke? Wie kommen wir als Team miteinander aus? Für mich ist das eine große Lehrstunde, nicht nur über solche Rennformate, sondern auch über mich selbst zu lernen.
Unser Plan für das Rennen sieht so aus, dass wir das Ganze in sechs bis sieben Tagen schaffen. Auf den 1100 Kilometern liegen rund 20000 Höhenmeter (hier ist der Link zur Route des Atlas Mountain Race auf Komoot), was einiges ist, gerade mit dem Zusatzgewicht durch das Gepäck am Rad. Die höchste Stelle, die wir überqueren müssen, liegt auf 2200 Metern. Da haben wir also schon selektives Gelände dazwischen, aber wir wollen auf jeden Fall zur Finisherparty nach einer Woche im Ziel sein. Am Tag drauf geht unser Rückflug und den würde ich nur sehr ungerne umbuchen müssen.
Wo lauft ihr ungefähr auf der Ergebnisliste ein, wenn ihr sechs bis sieben Tage braucht?
Wenn wir das schaffen, werden wir uns wahrscheinlich irgendwo im Mittelfeld bewegen. Uns geht es auch eher darum, Erfahrung zu sammeln und weniger darum, eine bestimmte Platzierung einzufahren. Es ist nicht das Ziel, permanent aufs Klassement zu schielen. Das müssen wir auch davon abhängig machen, wie wir zurechtkommen. Wenn wir merken, dass wir gut ins Rennen kommen und gut größere Distanzen wegschrubben können, dann werden wir das sicherlich ambitionierter angehen. Wenn wir aber merken, dass wir uns durchbeißen müssen und es eine Challenge sein wird, überhaupt anzukommen, dann wird das Klassement keine Rolle spielen. Da sind knapp 40 Teams am Start und ich glaube mit uns drei oder vier aus Deutschland. Es wäre natürlich geil, das erste deutsche Team zu sein.
Habt ihr schon ausgemacht, was für euch die größte Herausforderung sein wird? Ihr scheint ja beide recht schnell Rad fahren zu können – ankommen kann also eigentlich nicht das Problem sein.
Ich denke auch, dass wir beide eine ausreichende Fitness haben, um das zu schaffen. Aber wie viele Kilometer können wir dann auch wirklich jeden Tag schaffen? Wie wird das Wetter sein? Ist unser Plan überhaupt realistisch? 30 % der Strecke ist asphaltiert, der Rest wird Schotter sein, Eselspfade, mindestens eine Flussdurchquerung … Das ist schwer einzuschätzen, wie schnell man da vorankommt. Für mich ist die größte Unbekannte, wie das mit dem Schlafen sein wird. Wir haben uns für eine Kombination aus Biwaksack, Schlafsack und einer doch recht komfortablen Isomatte entschieden, aber es ist immer noch die Frage, ob wir überhaupt gute Plätze zum Schlafen finden. Mit steigendem Alter dauert die Regeneration einfach länger, da tun die Knochen dann noch mal eher weh als wenn man Mitte 20 ist. Ich hoffe aber, dass wir abends so kaputt sein werden, dass es einfach egal ist.
Der zweite Faktor ist das Essen, das wir vor Ort bekommen können. Wir nehmen auf jeden Fall für zwei Tage Notrationen mit, irgendwelche Astronautennahrung, die wir uns so reindrücken können. Es gibt auf der Strecke Dörfer und damit auch Möglichkeiten, sich zu versorgen. Dazwischen sind allerdings auch zwei ca. 90 Kilometer lange Teilabschnitte, wo gar nichts ist und die müssen wir uns natürlich dementsprechend markieren. Wir haben jeder drei Flaschenhalter und dazu noch eine Trinkblase, wir können also jeder knapp fünf Liter Wasser transportieren. Natürlich müssen wir auch ein Auge darauf haben, was wir da essen, weil unsere Mägen vielleicht nicht alles vertragen, was da auf den Teller kommt.
Was genau habt ihr an Elektronik dabei und wo kommt euer Strom her?
Es wird sicher einige Experten geben, die viel im Dunkeln fahren werden. Da müssen wir noch schauen, wie wir es halten wollen und ob wir einen höheren Schnitt mit längeren Ruhezeiten fahren oder ob wir ein bisschen langsamer fahren wollen, dementsprechend aber in die Nacht reinfahren und den Schlaf verkürzen. Wir nehmen auf jeden Fall Licht mit und das wird wie alle anderen Geräte aus einer Powerbank versorgt. Wir haben als Team den Vorteil, dass wir uns bestimmte Dinge teilen können. Trotzdem nehmen wir vier GPS-Geräte mit. Auf Nabendynamos haben wir verzichtet, auch wenn wir gewichtsmäßig dadurch keinen Vorteil haben. Die Powerbank ist mit einem halben Kilo auch recht schwer. Wir haben von DT Swiss zwei komplette Laufradsätze gesponsert bekommen, deswegen haben wir uns wegen dem geringeren Rollwiderstand und dem Aufwand, zwei Laufräder umzuspeichen, gegen die Nabendynamos entschieden.
Da wir jetzt sowieso schon voll in der Equipmentdiskussion stecken, machen wir einfach mal weiter. Auf was für Rädern seid ihr unterwegs?
Ich wäre liebend gerne auf einem Votec gefahren, aber wir sind da mit einem Projekt, über das ich im Moment noch nicht zu viel sagen darf, leider noch nicht so weit. Da kommen die ersten Prototypen erst im Sommer. Ich fahre also auf einem OPEN WI.DE., das für mich die beste Plattform bietet. Ich habe Möglichkeiten, eine Menge Flaschenhalter anzubringen und eine enorme Reifenfreiheit, die ich mit einem 50 mm breiten WTB-Reifen auf 650B-Laufrädern auch gut ausnutze. Für die Taschen benutze ein klassisches Bikepackingsetup von Revelate, also eine Frontrolle, eine Rahmentasche und die beliebte Arschrakete. Zusätzlich habe ich noch einen Snackbeutel am Vorbau hängen und eine Oberrohrtasche, wo zum Beispiel das Handy reinkommt. Marc wird auf einem Merida Silex unterwegs sein, das dann logischerweise auch mit Taschen von Merida ausgerüstet ist. Da kann er als Produktmanager die Teile, mit denen er jeden Tag zu tun hat, unter besonderen Bedingungen ausprobieren. Ansonsten haben wir ein ähnliches Setup und Marc wird wie ich mit 650B-Laufrädern von DT Swiss und Reifen von WTB unterwegs sein.
War das eine bewusste Entscheidung, auf 650B zu setzen?
Ja. Unter den Teilnehmern des Rennens gab es im Vorfeld Diskussionen, ob man ein Mountainbike oder Gravelbike nimmt. Einige stehen jetzt mit einem Mountainbike am Start, weil einige Teilstücke schon ziemlich grob sein werden. Wir haben uns bewusst für Gravelbikes entschieden, weil die Lenkerform verschiedene Positionen zulässt und wir da viele Montagepunkte für Taschen und Flaschen haben. Wir haben außerdem ein geringeres Gesamtgewicht. Die voluminösen Reifen von 650B werden uns in Sachen Komfort und im groben Gelände hoffentlich weiter vorwärtsbringen. Die Reifen sind tubeless montiert, damit wir nicht jedes Mal direkt einen Platten haben, wenn wir durch Dornen fahren. Als Reserve nehmen wir ein paar extrem leichte Schläuche von tubolito mit, außerdem natürlich Reparaturkits und Nadel und Faden. Wir haben uns aus Gewicht- und Platzgründen dagegen entschieden, Ersatzreifen mitzunehmen und so können wir nähen, wenn uns mal eine Reifenflanke aufreißt.
Unterscheidet sich das in irgendeiner Form von dem Setup, das du hier zu Hause fährst?
Im Prinzip ist das ein sehr ähnliches Setup. Wenn ich hier mal gröbere Mountainbiketrails fahre, dann stecke ich gerne die 650B-Laufräder ins Rad, aber wenn ich längere Touren wie zum Beispiel den Votec Gravel Fondo fahre, dann bin ich auf 700er-Laufrädern und 40 mm breiten Reifen unterwegs, die für mich alles ganz gut bedienen.
Was nehmt ihr noch an Ausrüstung mit?
Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, einen Kocher mitzunehmen. Unsere Ernährung wird also recht spartanisch ausfallen und selten warm sein. Der Plan ist, dass wir uns an jedem Supermarkt, an dem wir vorbeikommen, die Taschen vollmachen und dann auf der Strecke essen, wenn es passt. Es gibt zwar Restaurants an der Strecke, aber da braucht man halt Geduld und wir werden wenig Zeit haben, eineinhalb Stunden zum Essen anzuhalten. Das ist ein Risiko, keinen Kocher mitzunehmen, weil wir nachts zwischen null und zehn Grad haben werden und deshalb nicht nur ein heißer Kaffee morgens nett wäre. Aber das ist eine der Sachen, wo ich sehr gespannt bin, wie das wird.
Welche Gegenstände habt ihr im Gepäck, die viele Leute vergessen?
Ich werde auf jeden Fall mehrere Einmalhandschuhe einpacken. Wenn ich das Rad reparieren muss, sind die Finger danach nicht komplett verdreckt und wenn es regnet, kann ich die unter meine normalen Handschuhe ziehen. Wir nehmen Zinksalbe mit, um aufgescheuerte Stellen direkt versorgen zu können. Ansonsten fahren wir mit einem relativ normalen Setup, das auch viele andere zum Bikepacking nutzen.
Für euch beide ist es das erste Bikepackingrennen. Habt ihr das Setup so schon mal mit einer Übernachtung ausprobiert?
Wir sind tatsächlich jetzt das erste Mal mit vollgepackten Rädern gefahren, aber wir haben vor, das noch mal richtig auszuprobieren. Mit beladenen Taschen zumindest eine mittellange Strecke fahren und draußen zu übernachten ist auf jeden Fall noch geplant. Die Zeit ist jetzt natürlich limitiert, insofern müssen wir auch darauf vertrauen, dass wir alles richtig gemacht haben.
Die Frage ist sowieso, mit wie viel Planung man sich das Abenteuer kaputtmacht.
Die Frage ist sowieso, mit wie viel Planung man sich das Abenteuer kaputtmacht. Ich musste schon innerlich laut lachen, als ich versucht habe herauszufinden, was man in den Supermärkten kaufen kann. Wo bleibt dann noch das Abenteuer? Ich bin sowieso nicht der absolute Planungsfreak, und deswegen bin ich froh, Marc dabei zu haben.
Kannst du mir noch verraten, was genau „Terrible Heaven“ ist?
Ich habe vor ein paar Jahren mit meiner Frau zusammen unter dem Namen „Terrible Twins“ kleine Satteltaschen gemacht. Das war ein kleines Herzensprojekt und die Idee war, das wieder aufleben zu lassen. Heaven kommt vom Heaven & Hell Cycle Club, das ist eine Fahrradcrew aus Stuttgart, wo der Marc Gründungsmitglied ist. Die sind sehr umtriebig und machen viele Touren auf Fixies und auch hier in der Stadt viele Aktionen, die die gesamte Fahrradkultur beleben.
Terrible Heaven ist also eine Wortschöpfung, die unsere beiden Projekte zusammenbringt und passt auch gut zu der wunderschönen Hölle, in die wir uns begeben.
Terrible Heaven ist also eine Wortschöpfung, die unsere beiden Projekte zusammenbringt und passt auch gut zu der wunderschönen Hölle, in die wir uns begeben. Einerseits freuen wir uns auf die wunderschöne Landschaft, das Gefühl ins Ziel zu kommen und uns den ersten Finisherdrink gönnen zu können, die offene Community – das ist so der „Heaven“-Part. „Terrible“ sind dann die Leiden, die wir ohne Frage erfahren werden und die Ungewissheit, die uns jetzt noch quält. Auch das Training tut weh, nicht nur währenddessen, sondern es auch überhaupt neben der Familie einplanen zu können. Das hat mich auch schon mental an meine Grenzen gebracht.
Über die körperliche Vorbereitung haben wir bisher noch gar nicht gesprochen. Kannst du da noch ein paar Worte zu verlieren, wie du schon Mitte Februar fit sein wirst?
Ich habe durch den Hintergrund im Leistungssport einen guten Erfahrungsschatz, was für mich funktioniert, wobei das halt auch schon 15 Jahre her ist. Ich habe die Zusage für das Rennen bekommen und meine erste Reaktion war: „Ich brauche einen Trainingsplan.“ Ich hatte den Plan, dafür diverse Leute zu kontaktieren, was ich letzten Endes nicht gemacht habe. Stattdessen habe ich mir eine Rolle ausgeliehen, damit ich den ganzen Zwift-Kram machen kann, eine Wattmesskurbel ans Rad geschraubt und meinen eigenen Trainingsplan erstellt. Der hat ziemlich genau eine Woche gehalten.
FTP heißt für mich halt „Fuck the plan“ und Radfahren kommt immer noch von Radfahren.
FTP heißt für mich halt „Fuck the plan“ und Radfahren kommt immer noch von Radfahren. Ich muss das auch so planen, dass ich das mit meiner Familie hinbekomme, die nicht so begeistert ist, wenn ich immer wieder zum Radfahren abhaue. Ich schaue schon, dass ich einen gewissen Aufbau drinhabe, immer wieder eine harte Einheit einstreue und eine längere am Wochenende. So bin ich ganz gut durchgekommen und merke, dass das Training zündet. Das ist auch ein cooles Gefühl, wieder in den Modus zu kommen, weil ich mir insgeheim schon immer gewünscht hatte, das noch mal zu machen. Das ist einfach ein geiles Gefühl mitzubekommen, wie sich der Körper wieder Richtung Athlet transformiert und ich denke, dass ich dann schon mit dem Marc Schritt halten kann. Es ist natürlich nicht einfach, das neben einem Job mit 40+ Stunden zu handhaben, aber unsere flexiblen Arbeitszeiten helfen mir schon. So kann ich ein oder zweimal die Woche morgens vor der Arbeit fahren und dann etwas länger bleiben. Dadurch muss ich nicht auf der Rolle fahren, was für mich ein Graus ist. Da komme ich einfach nicht mit den neuen technischen Möglichkeiten mit, die es inzwischen gibt. Ich hoffe, dass ich den Effekt dieser Einheiten dann auch in den Rest der Saison mitnehmen kann und vielleicht noch bei ein oder zwei anderen Events die Keule schwingen kann.
Das war es jetzt von meiner Seite. Möchtest du noch was loswerden?
Ja, ich möchte ein großes Dankeschön an Brügelmann richten, dass die uns bei dem Projekt unterstützen und uns auf der Reise begleiten. Das ist nicht selbstverständlich und ich finde es cool, dass ich meinen Fahrradlifestyle mit meinen Kollegen teilen kann. Ansonsten kann ich kaum erwarten, dass es endlich losgeht!
Wir werden die Instagramkanäle von Alex und Marc ab dem 15.2. genauestens im Auge behalten – das lohnt sich jetzt übrigens auch schon!